großen formgeschichtlichen Zusammenhang geht
einher die Feststellung der inneren Beziehungen,
durch die sie unter sich verknüpft sind und die
erst die Berechtigung gaben, von einer Würz-
burger Plastik im Sinne einer Schule zu sprechen.
Die hierauf zielenden Beobachtungen verraten die
intimste Vertrautheit des Verfassers mit den Denk-
mälern und sind gerade für die wichtigsten Stücke
überzeugend. Bei dem gegebenen Material liegt
im Charakter des Themas eine gewisse Gefahr zu
teleologischer Betrachtung, und in dem Streben,
aus dem Stoff das letzte herauszuziehen, mag Verf.
gelegentlich etwas viel in die Dinge hereingesehen
haben, weniger in der qualitativen Beurteilung,
als in der Art und dem Grad ihrer Verknüpfung
untereinander. So ist das Relief der „Mariae Schie-
dung" mit den übrigen Arbeiten kaum hinreichend
verankert und seine Bedeutung für die Entwicklung
des neuen, „weichen" Stils gewiß überschätzt. (Für
diesen selbst und seine Verbreitung in Deutsch-
land scheint mir schließlich doch das alte Köln
und nicht der „Mittelrhein" die entscheidende Quelle
darzustellen.) Im übrigen liegt der Wert des Buches
nicht nur in der Feststellung einzelner Resultate
— z. B. der Ausschaltung Freiburger Einflüsse für
die Dreikönigsfiguren; die richtige Ansetzung des
s. Z. von Börger umdatierten Mangoldmonuments
(vgl. auch Knapp, Wanderungen durch die Werk-
stätten fränkischer Bildhauer, S. 23) —, sondern in
der eindringlichen Haltung der ganzen Betrach-
tungsweise: Es ist dem Verf. darauf angekommen,
den künstlerischen Gehalt dieser Denkmäler, die
besondere Bedeutung und Schönheit dieses Stils
zu erfassen und zur Darstellung zu bringen.
Das Buch ist mit 56 autotypischen Tafeln ergiebig
illustriert; vieles ist zum ersten Male und nach
neuen Aufnahmen hier abgebildet. Leider gibt
der Text keine Hinweise auf die Abbildungen.
Swarzenski.
GEORGES H. DE LOO, Heures de
Milan, Troisieme Partie des Tres-Belles
Heures de Notre -Dame enluminees par
les peintres de Jean de France, Duc de
Berry. Brüssel u. Paris, G. van Oest & Cie.
28 Tafeln in Photogravure, 80 Seiten Text.
Es ist, wie wenn man eine seltene Frucht, von
der man viel gehört und die man wohl von ferne
einmal gesehen, nun plötzlich in Händen hält,
aufbrechen und kosten darf. Das also sind die
Blätter der Bibliothek Trivulzi! Wie viele von
den speziell Interessierten haben, seit man über-
haupt durch Marquet de Vasselots glückliche Ent-
516
deckung von dem streng gehüteten Schatze weiß,
betrübt gestehen müssen, daß sie sie nicht kennen.
Nun darf sie jeder sehen — wenn auch nur durch
einen Schleier. Die Publikation ist eine neue
Glanzleistung des Hauses G. van Oest & Cie., die
Photogravüren sind den Lichtdrucken, in denen die
„Heures de Turin" uns nun fast einzig noch er-
halten sind, weit überlegen. Und doch: was sind
Reproduktionen hier, wo es sich um die subtilsten
Fragen der Qualität handelt, wo alles darauf ge-
stellt ist, das Persönlichste der künstlerischen Lei-
stung zu erfassen? Sie reden zu laut, wo es gilt,
den Atem anzuhalten, um das zarteste Sichregen
künstlerischer Indivudalitäten zu erlauschen. Wer,
wie der Referent, nur auf diese Tafeln angewiesen
ist, kann nicht wagen, ein entscheidendes Wort
in der auf der Messer Schneide gestellten De-
batte um die kunstgeschichtliche Bedeutung dieser
Miniaturen mitzureden. Er muß imwesentlichen dem
Herausgeber das Wort lassen und darf nur mit allem
Vorbehalte hie und da ein Fragezeichen anmerken.
Georges Hulin, dessen erste temperamentvolle
und feinsinnige Enthüllung der trivulzianischen
Geheimnisse auf dem internationalen Historiker-
kongreß zu Berlin 1908 noch in vieler Erinnerung
sein wird, hat zu den Tafeln einen ausführlichen
Text geschrieben. Oder eigentlich er und Paul
Durrieu. Denn nachdem Hulin zunächst die
Untersuchungen Durrieus über die „Heures de
Turin" weitergesponnen und eine kritische Analyse
der Mailänder Bilderfolge vorgenommen hat, sind
ihm erst nachträglich Durrieus abschließende Un-
tersuchungen über die „Tres Belles Heures" in der
Revue archeologique 1910 bekannt geworden. Er
setzt sich mit ihnen in den „Addenda et Corri-
genda" auseinander, und so wird der gesamte Text
gleichsam zu einem Dialog zwischen diesen beiden
ausgezeichneten Kennern der französischen und
altniederländischen Malerei, die ihre Arbeit in jener
reizvollen Mischung von Liebhaberei und Gelehr-
samkeit ausüben, in der wir es unseren westlichen
Nachbarn niemals werden gleichtun können.
Es ist Hulin gelungen, die aus Durrieus Arti-
keln in der Gaz. d. B.-A. 1903 im wesentlichen
bekannte Geschichte der Handschrift und ihrer Illu-
strierung noch weiter aufzuhellen. Schärfere Inter-
pretation der Inventarnotizen, festere Datierung
der frühesten Malereien auf Grund der Bildnisse
Herzog Johanns haben folgendes ergeben: Der Duc
de Berry hat das Gebetbuch schon in den acht-
ziger Jahren des XIV. Jahrhunderts in Auftrag ge-
geben; ca. 1380 bis 90 ist eifrig daran gearbeitet
worden. Als es 1405 seinen kostbaren Einband
erhielt und in den Schatz aufgenommen wurde,
einher die Feststellung der inneren Beziehungen,
durch die sie unter sich verknüpft sind und die
erst die Berechtigung gaben, von einer Würz-
burger Plastik im Sinne einer Schule zu sprechen.
Die hierauf zielenden Beobachtungen verraten die
intimste Vertrautheit des Verfassers mit den Denk-
mälern und sind gerade für die wichtigsten Stücke
überzeugend. Bei dem gegebenen Material liegt
im Charakter des Themas eine gewisse Gefahr zu
teleologischer Betrachtung, und in dem Streben,
aus dem Stoff das letzte herauszuziehen, mag Verf.
gelegentlich etwas viel in die Dinge hereingesehen
haben, weniger in der qualitativen Beurteilung,
als in der Art und dem Grad ihrer Verknüpfung
untereinander. So ist das Relief der „Mariae Schie-
dung" mit den übrigen Arbeiten kaum hinreichend
verankert und seine Bedeutung für die Entwicklung
des neuen, „weichen" Stils gewiß überschätzt. (Für
diesen selbst und seine Verbreitung in Deutsch-
land scheint mir schließlich doch das alte Köln
und nicht der „Mittelrhein" die entscheidende Quelle
darzustellen.) Im übrigen liegt der Wert des Buches
nicht nur in der Feststellung einzelner Resultate
— z. B. der Ausschaltung Freiburger Einflüsse für
die Dreikönigsfiguren; die richtige Ansetzung des
s. Z. von Börger umdatierten Mangoldmonuments
(vgl. auch Knapp, Wanderungen durch die Werk-
stätten fränkischer Bildhauer, S. 23) —, sondern in
der eindringlichen Haltung der ganzen Betrach-
tungsweise: Es ist dem Verf. darauf angekommen,
den künstlerischen Gehalt dieser Denkmäler, die
besondere Bedeutung und Schönheit dieses Stils
zu erfassen und zur Darstellung zu bringen.
Das Buch ist mit 56 autotypischen Tafeln ergiebig
illustriert; vieles ist zum ersten Male und nach
neuen Aufnahmen hier abgebildet. Leider gibt
der Text keine Hinweise auf die Abbildungen.
Swarzenski.
GEORGES H. DE LOO, Heures de
Milan, Troisieme Partie des Tres-Belles
Heures de Notre -Dame enluminees par
les peintres de Jean de France, Duc de
Berry. Brüssel u. Paris, G. van Oest & Cie.
28 Tafeln in Photogravure, 80 Seiten Text.
Es ist, wie wenn man eine seltene Frucht, von
der man viel gehört und die man wohl von ferne
einmal gesehen, nun plötzlich in Händen hält,
aufbrechen und kosten darf. Das also sind die
Blätter der Bibliothek Trivulzi! Wie viele von
den speziell Interessierten haben, seit man über-
haupt durch Marquet de Vasselots glückliche Ent-
516
deckung von dem streng gehüteten Schatze weiß,
betrübt gestehen müssen, daß sie sie nicht kennen.
Nun darf sie jeder sehen — wenn auch nur durch
einen Schleier. Die Publikation ist eine neue
Glanzleistung des Hauses G. van Oest & Cie., die
Photogravüren sind den Lichtdrucken, in denen die
„Heures de Turin" uns nun fast einzig noch er-
halten sind, weit überlegen. Und doch: was sind
Reproduktionen hier, wo es sich um die subtilsten
Fragen der Qualität handelt, wo alles darauf ge-
stellt ist, das Persönlichste der künstlerischen Lei-
stung zu erfassen? Sie reden zu laut, wo es gilt,
den Atem anzuhalten, um das zarteste Sichregen
künstlerischer Indivudalitäten zu erlauschen. Wer,
wie der Referent, nur auf diese Tafeln angewiesen
ist, kann nicht wagen, ein entscheidendes Wort
in der auf der Messer Schneide gestellten De-
batte um die kunstgeschichtliche Bedeutung dieser
Miniaturen mitzureden. Er muß imwesentlichen dem
Herausgeber das Wort lassen und darf nur mit allem
Vorbehalte hie und da ein Fragezeichen anmerken.
Georges Hulin, dessen erste temperamentvolle
und feinsinnige Enthüllung der trivulzianischen
Geheimnisse auf dem internationalen Historiker-
kongreß zu Berlin 1908 noch in vieler Erinnerung
sein wird, hat zu den Tafeln einen ausführlichen
Text geschrieben. Oder eigentlich er und Paul
Durrieu. Denn nachdem Hulin zunächst die
Untersuchungen Durrieus über die „Heures de
Turin" weitergesponnen und eine kritische Analyse
der Mailänder Bilderfolge vorgenommen hat, sind
ihm erst nachträglich Durrieus abschließende Un-
tersuchungen über die „Tres Belles Heures" in der
Revue archeologique 1910 bekannt geworden. Er
setzt sich mit ihnen in den „Addenda et Corri-
genda" auseinander, und so wird der gesamte Text
gleichsam zu einem Dialog zwischen diesen beiden
ausgezeichneten Kennern der französischen und
altniederländischen Malerei, die ihre Arbeit in jener
reizvollen Mischung von Liebhaberei und Gelehr-
samkeit ausüben, in der wir es unseren westlichen
Nachbarn niemals werden gleichtun können.
Es ist Hulin gelungen, die aus Durrieus Arti-
keln in der Gaz. d. B.-A. 1903 im wesentlichen
bekannte Geschichte der Handschrift und ihrer Illu-
strierung noch weiter aufzuhellen. Schärfere Inter-
pretation der Inventarnotizen, festere Datierung
der frühesten Malereien auf Grund der Bildnisse
Herzog Johanns haben folgendes ergeben: Der Duc
de Berry hat das Gebetbuch schon in den acht-
ziger Jahren des XIV. Jahrhunderts in Auftrag ge-
geben; ca. 1380 bis 90 ist eifrig daran gearbeitet
worden. Als es 1405 seinen kostbaren Einband
erhielt und in den Schatz aufgenommen wurde,