Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/monatshefte_kunstwissenschaft1911/0543

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
LEONARDO DA VINCIS BRUSTBILD EINES
ENGELS UND SEINE KOMPOSITIONEN DES
S. JOHANNES-BAPTISTA
Mit fünf Abbildungen auf drei Tafeln ...

Von EMIL MÖLLER

Während die Schriftsteller vom XVII. bis zum beginnenden XIX. Jahrhundert
bei ihren Zuschreibungen an Leonardo nur ausnahmsweise eine sorgsame
Untersuchung lohnen, haben wir die Pflicht, die Notierungen des Giorgio Vasari,
der mit besonderer Liebe Leonardos Lebensbeschreibung verfaßt hat und der Zeit
desselben noch nahestand, genau zu prüfen, eine Aufgabe, die leider mehrfach durch
die Unbestimmtheit der Angaben erschwert wird. Letzteres ist nicht der Fall bei
einer der zweiten Auflage der Vite eingefügten Beschreibung einer „testa d'uno
angelo", die Vasari zwischen 1550 und 1568 im Palaste des glänzenden Herzogs
Cosimo de' Medici zugleich mit der verschollenen Medusa kennen lernte1). Der Passus
lautet in wörtlicher Übersetzung:
„Diese (Medusa) befindet sich unter den ausgezeichneten Werken im Palaste des
Herzogs Cosimo zusammen mit dem Kopf eines Engels, der einen Arm emporhebt,
welcher, nach vorn gehend, sich von der Schulter bis zum Ellenbogen verkürzt,
während der andere Arm mit der Hand sich auf die Brust legt. Es ist ein wunder-
bares Ding, daß jener Genius, in dem Bestreben, den Sachen, die er machte, die
stärkste Rundung zu geben, mit so tiefen Schatten arbeitete, um die dunkelsten
Hintergründe herauszubekommen, daß er schwarze Farben suchte, die schattieren
möchten und dunkler wären als das übrige Schwarz, um so zu bewirken, daß die
Helligkeiten infolge jener schwarzen Farben mehr leuchteten; und schließlich kam
diese (d. i. die uns hier begegnende) dunkle Manier heraus, infolge deren, da keine
Helligkeit mehr übrig blieb, die Dinge eher das Aussehen eines Nachtstückes be-
kamen, als Feinheiten des Tageslichtes: aber alles dies geschah, um der Malerei
stärkeres Relief zu verleihen und um den Gipfel und die Vollendung der Kunst zu
erreichen".
Obwohl diese öfters herangezogenen Ausführungen Vasaris für Leonardos male-
risches Streben überaus bezeichnend sind, hat die Leonardoforschung doch bislang
noch nicht Veranlassung genommen, jenem Bild genauer nachzuforschen, das dem
Vasari zu so eindringlicher Charakteristik Ursache war. Nur Gaetano Milanesi
fügte seiner letzten Ausgabe der Vite, Bd. IV, 26, als Anmerkung (2) eine Erinne-
rung aus längst verflossener Zeit hinzu: Ein Florentiner Restaurator und Bilder-
händler habe diesen Engel in sehr desolatem Zustand bei einem Trödler entdeckt,
geschickt restauriert und für ein gutes Stück Geld an einen Russen verkauft.
Die größeren Leonardobiographien beschränkten sich darauf, den von Vasari be-
schriebenen Engel als verschollen zu melden und die unbestimmte Notiz Milanesis
(1) „Questa (la testa d'una Medusa) e fra le cose eccellenti nel palazzo del Duca Cosimo, insieme con
una testa d'uno angelo, che alza un braccio in aria, ehe scorta dalla spalla al gomito venendo innanzi,
e l'altro ne va al petto con una mano. E cosa mirabile che quello ingegno, che, avendo desiderio di
dar sommo rilievo alle cose che egli faceva, andava tanto con l'ombre scure a trovare i fondi de piü
scuri, che cercava neri che ombrassino e fossino piü scuri degli altri neri, per fare che il chiaro,
mediante quegli fosse piü lucido; ed infine riusciva questo modo tanto tinto, che non vi rimanendo
chiaro, avevan piü forma di cose fatte per contraffare una notte, che una finezza del lume del di. ma
tutto era per cercare di dare maggiore rilievo, di trovare il fine e la perfezione dell arte". Vasari-Mila-
nesi, IV. 26. Ediz. Sansoni.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 19x1, Heft 12

37

529
 
Annotationen