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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins.
Kräften den vielfach ungemein verwickelten Verhältnissen objektiv gerecht zu werden trachtet,
jedenfalls weniger mit vorgefaßten Ansichten operiert, als dies z. B. bezüglich der Architektur der
gleichen Zeit — an die italienische Plastik der Barocke hat sich noch niemand herangewagt —
Cornelius Gurlitt getan hatte. Das stattliche Werk, das mit dreißig Lichtdrucktafeln geschmückt ist,
hat den Prager Professor der Kunstgeschichte zum Verfasser, der sich in der Barockkunst, wie seine
bisherigen Publikationen bezeugen, gut auskennt. Die Orientierung auf dem Gebiete der italienischen
Barockmalerei ist nicht leicht gewesen; die bisherige Literatur ist wohl an Umfang nicht arm, inhalt-
lich jedoch nur wenig brauchbar. Hier galt es ganz von neuem zu beginnen. Und dies ist ungemein
schwer, denn die Gunst unserer Zeit neigt sich nicht gerade zu den Virtuosen Guercino, Caracci,
Reni, Giordano etc. Das Abbildungsmaterial ist noch sehr lückenhaft; man muß allen Fresken und
Tafelbildern noch mühsam in ganz Italien selbst nachgehen. Um so verdienstvoller ist Schmerbers
Unternehmen, das nicht nur alle damaligen Hauptmeister in ihren bekanntesten und auch wenig
bekannten Werken glücklich charakterisiert, sondern — was noch höher zu achten ist — nebst der
Künstlergeschichte auch die Kunstgeschichte jener Tage aufbaut und — stets an der Hand der
gleichzeitigen Literatur — die damaligen ästhetischen Forderungen und Moderichtungen, die ..grazie",
die „bravura", die „forza" und wie die Schlagworte alle heißen, anschaulich zu machen weiß. Ob
Schmerbers Detailurteile in allen Stücken von der Wissenschaft zum Dogma werden erhoben werden
oder nicht, das ist hier nebensächlich. Wir müssen uns freuen, daß an Stelle des Raubbausystems
eine erstmalige, planmäßige und selbständige Abhandlung getreten ist, und daß es die Kunst-
wissenschaft nicht mehr verschmäht, sich mit solcher Liebe auch in wenig dankbare Epochen zu
versenken. Dürfen wir doch nicht vergessen, daß auch fast alle Kunst diesseits der Alpen im
17. und zum Teile noch im 18. Jahrhundert auf der italienischen aufgebaut ist, und daß wir die
deutsche Kunstgeschichte der Barockzeit nicht verstehen können, wenn wir nicht zuvor die diesen
Künstlern vorschwebenden italienischen Anregungen kennen gelernt haben. Gegenüber dem Werke
über Dintzenhofer, in welchem Schmerbers Fleiß so viel neues Material zusammengetragen hat,
ohne alle damit zusammenhängenden Fragen restlos zu bewältigen, bedeutet das genannte Werk über
die italienische Malerei des 17. Jahrhunderts, das sich bescheidener Weise nur „Betrachtungen1'
nennt, einen großen Fortschritt, und wir dürfen darauf gespannt sein, dieselben Strömungen und
Motive, die wir hier kennen gelernt haben, nun auch durch denselben Autor in einigen Partien
der deutschen Kunstgeschichte weiter entwickelt zu erhalten. G. E. P.
ALTSCHWEIZERISCHE BAUKUNST. Herausgegeben von Architekt Dr. R. Anheißer. Verlag
von A. Francke, Bern.
Ueberall wird im Sinne der „Heimatkunst" gesammelt. Interessant ist, daß parallel und gleich-
zeitig mit unseren schwäbischen Sammelwerken alter guter Kunst und Kultur „Alt Stuttgarts
Baukunst" und dem großen Prachtwerk von Paulus auch unsere Schweizer Nachbarn jetzt vor-
gehen und ein Gleiches tun. Im Verlag A. Francke in Bern erscheint zurzeit ein auch für unsere
Kunstfreunde sehr interessantes überaus reichhaltiges Werk, die Altschweizerische Baukunst, ins-
gesamt 110 Kunstblätter (auch in Lieferungen), die inklusive eines Textheftes nur 22 Frs. kosten.
Und die Herausgabe eines solchen Werks ist berechtigt nicht nur im Sinne der Schweizer, sondern
ganz besonders auch der Schweizer Freunde, die ja wohl das Bauernhaus der Schweiz, das schöne
Bauernhaus besonders des Berner Oberlandes kennen, aber an den überaus zahlreichen hoch-
interessanten und charakteristischen Denkmälern städtischer, bürgerlicher, herrschaftlicher und
kirchlicher Baukunst bisher vorübergegangen sind. Roland Anheißer hat vollkommen recht, wenn
er sagt, daß wir an dem Nachlaß der Altvordern lernen sollen, zumal den praktischen ehrlichen
Sinn, der überall die treffliche Konstruktion klar und bündig zeigt, nicht lügenhaft dem Bauwerk
eine Maske aufsetzt und es mit allerlei Flitterkram beklebt. Zur Aufrüttelung dieses gesunden
Sinnes für das Schöne und Wahre in der Baukunst kann ein derartiges Werk wahrhaftig beitragen
und es freut uns, durch das Entgegenkommen des Verlags in diesem Heft einige Abbildungen
bringen zu können, die zu interessanten Vergleichen mit unseren Bildern aus der Stuttgarter Bau-
kunst anregen können und sollen. m.
Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins.
Kräften den vielfach ungemein verwickelten Verhältnissen objektiv gerecht zu werden trachtet,
jedenfalls weniger mit vorgefaßten Ansichten operiert, als dies z. B. bezüglich der Architektur der
gleichen Zeit — an die italienische Plastik der Barocke hat sich noch niemand herangewagt —
Cornelius Gurlitt getan hatte. Das stattliche Werk, das mit dreißig Lichtdrucktafeln geschmückt ist,
hat den Prager Professor der Kunstgeschichte zum Verfasser, der sich in der Barockkunst, wie seine
bisherigen Publikationen bezeugen, gut auskennt. Die Orientierung auf dem Gebiete der italienischen
Barockmalerei ist nicht leicht gewesen; die bisherige Literatur ist wohl an Umfang nicht arm, inhalt-
lich jedoch nur wenig brauchbar. Hier galt es ganz von neuem zu beginnen. Und dies ist ungemein
schwer, denn die Gunst unserer Zeit neigt sich nicht gerade zu den Virtuosen Guercino, Caracci,
Reni, Giordano etc. Das Abbildungsmaterial ist noch sehr lückenhaft; man muß allen Fresken und
Tafelbildern noch mühsam in ganz Italien selbst nachgehen. Um so verdienstvoller ist Schmerbers
Unternehmen, das nicht nur alle damaligen Hauptmeister in ihren bekanntesten und auch wenig
bekannten Werken glücklich charakterisiert, sondern — was noch höher zu achten ist — nebst der
Künstlergeschichte auch die Kunstgeschichte jener Tage aufbaut und — stets an der Hand der
gleichzeitigen Literatur — die damaligen ästhetischen Forderungen und Moderichtungen, die ..grazie",
die „bravura", die „forza" und wie die Schlagworte alle heißen, anschaulich zu machen weiß. Ob
Schmerbers Detailurteile in allen Stücken von der Wissenschaft zum Dogma werden erhoben werden
oder nicht, das ist hier nebensächlich. Wir müssen uns freuen, daß an Stelle des Raubbausystems
eine erstmalige, planmäßige und selbständige Abhandlung getreten ist, und daß es die Kunst-
wissenschaft nicht mehr verschmäht, sich mit solcher Liebe auch in wenig dankbare Epochen zu
versenken. Dürfen wir doch nicht vergessen, daß auch fast alle Kunst diesseits der Alpen im
17. und zum Teile noch im 18. Jahrhundert auf der italienischen aufgebaut ist, und daß wir die
deutsche Kunstgeschichte der Barockzeit nicht verstehen können, wenn wir nicht zuvor die diesen
Künstlern vorschwebenden italienischen Anregungen kennen gelernt haben. Gegenüber dem Werke
über Dintzenhofer, in welchem Schmerbers Fleiß so viel neues Material zusammengetragen hat,
ohne alle damit zusammenhängenden Fragen restlos zu bewältigen, bedeutet das genannte Werk über
die italienische Malerei des 17. Jahrhunderts, das sich bescheidener Weise nur „Betrachtungen1'
nennt, einen großen Fortschritt, und wir dürfen darauf gespannt sein, dieselben Strömungen und
Motive, die wir hier kennen gelernt haben, nun auch durch denselben Autor in einigen Partien
der deutschen Kunstgeschichte weiter entwickelt zu erhalten. G. E. P.
ALTSCHWEIZERISCHE BAUKUNST. Herausgegeben von Architekt Dr. R. Anheißer. Verlag
von A. Francke, Bern.
Ueberall wird im Sinne der „Heimatkunst" gesammelt. Interessant ist, daß parallel und gleich-
zeitig mit unseren schwäbischen Sammelwerken alter guter Kunst und Kultur „Alt Stuttgarts
Baukunst" und dem großen Prachtwerk von Paulus auch unsere Schweizer Nachbarn jetzt vor-
gehen und ein Gleiches tun. Im Verlag A. Francke in Bern erscheint zurzeit ein auch für unsere
Kunstfreunde sehr interessantes überaus reichhaltiges Werk, die Altschweizerische Baukunst, ins-
gesamt 110 Kunstblätter (auch in Lieferungen), die inklusive eines Textheftes nur 22 Frs. kosten.
Und die Herausgabe eines solchen Werks ist berechtigt nicht nur im Sinne der Schweizer, sondern
ganz besonders auch der Schweizer Freunde, die ja wohl das Bauernhaus der Schweiz, das schöne
Bauernhaus besonders des Berner Oberlandes kennen, aber an den überaus zahlreichen hoch-
interessanten und charakteristischen Denkmälern städtischer, bürgerlicher, herrschaftlicher und
kirchlicher Baukunst bisher vorübergegangen sind. Roland Anheißer hat vollkommen recht, wenn
er sagt, daß wir an dem Nachlaß der Altvordern lernen sollen, zumal den praktischen ehrlichen
Sinn, der überall die treffliche Konstruktion klar und bündig zeigt, nicht lügenhaft dem Bauwerk
eine Maske aufsetzt und es mit allerlei Flitterkram beklebt. Zur Aufrüttelung dieses gesunden
Sinnes für das Schöne und Wahre in der Baukunst kann ein derartiges Werk wahrhaftig beitragen
und es freut uns, durch das Entgegenkommen des Verlags in diesem Heft einige Abbildungen
bringen zu können, die zu interessanten Vergleichen mit unseren Bildern aus der Stuttgarter Bau-
kunst anregen können und sollen. m.