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Mitteilungen des "Württembergischen Kunstgewerbevereins.
Zustände grell kontrastierte, die tiefe Inner-
lichkeit jener gegenüber der phantasielosen
Ornamentation des Abendlandes öffnete den
Einsichtigen die Augen; aber die Massen
waren dafür noch nicht reif gewesen. Erst
als die Zeit der Stilrekapitulationen ohne
eine erfreuliche Perspektive ihrem Ende zu-
eilte, schenkte man den Predigern in der
Wüste Gehör, und es begann eine rasch
wachsende Verherrlichung japanischer Kunst-
fertigkeit, namentlich der alten japanischen
Kunstfertigkeit. Man nahm sich endlich die
Muße, sich liebevoll in das Wesen japa-
nischer Kunst zu versenken, und manche
entscheidende Klärung der Verhältnisse da-
tiert aus diesen Tagen, mancher wichtige
Fingerzeig, der uns aus der Sackgasse, in
die wir uns verrannt hatten, glücklich heraus-
führte. Mit der großen Bereicherung an
technischem und ästhetischem Können nahm
man schließlich auch solche Details gerne
mit in Kauf, die bis dahin verachtet worden
waren, ja man verfiel — wie dies so häufig
geschieht aus einem Extrem ins andere
und schuf z. B. für die Ueberlaufglasuren
eine Hausse, die heute, wenn auch nicht
mehr steigt, so doch ziemlich ungeschwächt
anhält und erst jetzt eine vorläufig nur schüchterne Opposition herauf-
beschwört*. —
Schon 1855, also im Jahre der ersten Pariser, vor der zweiten Londoner
Weltausstellung, erscheint merkwürdigerweise ein Buch: „Der Bildungstrieb
der Stoffe" im Selbstverlage des Verfassers, des Professors der Gewerbekunde
Dr. F. F. Runge, das in der Bibliothek der Kgl. Zentralstelle für Gewerbe und
Handel in Stuttgart aufliegt.
Die offenbar nur ganz ge-
ringe Auflage dieser Publi-
kation, wie auch der etwas
entlegene Erscheinungsort
Oranienburg** mögen der
Grund sein, daß weitere
Kreise davon keine Kennt-
nis erhalten haben. Es sind
* Robert Bretten, Berlin-Wil-
mersdorf: Zur Revision des Japa-
nismus ; Deutsche Kunst und De-
koration 1906. VII. p. 447 ff.
** Allerdings war das Buch auch
„in Mittlers Sortiments-Buchhand-
lung in Berlin, Stechbahn Nr. 3" Abb. 11. Schale mit Nelkendelior von H. St. Lerche,
zu haben. (Stuttgart, Landes-Gewerbemuseum.)
Abb. 10. Porzellanvase von Taxile Doat, Sevres
(Stuttgart, Landes-Gewerbemuseum.)
Mitteilungen des "Württembergischen Kunstgewerbevereins.
Zustände grell kontrastierte, die tiefe Inner-
lichkeit jener gegenüber der phantasielosen
Ornamentation des Abendlandes öffnete den
Einsichtigen die Augen; aber die Massen
waren dafür noch nicht reif gewesen. Erst
als die Zeit der Stilrekapitulationen ohne
eine erfreuliche Perspektive ihrem Ende zu-
eilte, schenkte man den Predigern in der
Wüste Gehör, und es begann eine rasch
wachsende Verherrlichung japanischer Kunst-
fertigkeit, namentlich der alten japanischen
Kunstfertigkeit. Man nahm sich endlich die
Muße, sich liebevoll in das Wesen japa-
nischer Kunst zu versenken, und manche
entscheidende Klärung der Verhältnisse da-
tiert aus diesen Tagen, mancher wichtige
Fingerzeig, der uns aus der Sackgasse, in
die wir uns verrannt hatten, glücklich heraus-
führte. Mit der großen Bereicherung an
technischem und ästhetischem Können nahm
man schließlich auch solche Details gerne
mit in Kauf, die bis dahin verachtet worden
waren, ja man verfiel — wie dies so häufig
geschieht aus einem Extrem ins andere
und schuf z. B. für die Ueberlaufglasuren
eine Hausse, die heute, wenn auch nicht
mehr steigt, so doch ziemlich ungeschwächt
anhält und erst jetzt eine vorläufig nur schüchterne Opposition herauf-
beschwört*. —
Schon 1855, also im Jahre der ersten Pariser, vor der zweiten Londoner
Weltausstellung, erscheint merkwürdigerweise ein Buch: „Der Bildungstrieb
der Stoffe" im Selbstverlage des Verfassers, des Professors der Gewerbekunde
Dr. F. F. Runge, das in der Bibliothek der Kgl. Zentralstelle für Gewerbe und
Handel in Stuttgart aufliegt.
Die offenbar nur ganz ge-
ringe Auflage dieser Publi-
kation, wie auch der etwas
entlegene Erscheinungsort
Oranienburg** mögen der
Grund sein, daß weitere
Kreise davon keine Kennt-
nis erhalten haben. Es sind
* Robert Bretten, Berlin-Wil-
mersdorf: Zur Revision des Japa-
nismus ; Deutsche Kunst und De-
koration 1906. VII. p. 447 ff.
** Allerdings war das Buch auch
„in Mittlers Sortiments-Buchhand-
lung in Berlin, Stechbahn Nr. 3" Abb. 11. Schale mit Nelkendelior von H. St. Lerche,
zu haben. (Stuttgart, Landes-Gewerbemuseum.)
Abb. 10. Porzellanvase von Taxile Doat, Sevres
(Stuttgart, Landes-Gewerbemuseum.)