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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1906-1907

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Marquard, A.: Künstlerische Photographien
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https://doi.org/10.11588/diglit.6373#0159
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Künstlerische Photographien.

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die Voraussetzung, daß sie ein Ding, das vor ihren Augen ist, sehen müssen.
Das Sehen als solches durch das Auge ist bloß die Folge seiner natürlichen
Tätigkeit und erweckt keinerlei Aufmerksamkeit, wenn diese nicht durch die
außergewöhnliche Beschaffenheit oder Eigenschaft des Gesehenen wachgerufen
wird. Es ziehen also vor dem menschlichen Auge immerwährend Gegenstände
vorbei, ohne einen Eindruck auf das Gehirn zu machen, ausgenommen die
Gedanken des Menschen werden auf irgend eine Art von den Eindrücken
dieser Gegenstände erweckt, die übrigen ziehen tatsächlich ungesehen, nicht
bloß nicht wahrgenommen, im vollen Sinne des Wortes, an uns vorüber. -

Photographie L. Schaller, Stuttgart 1907. Feldberg.

Jedes Motiv, sagt Perscheid, muß im Phantasiebereiche, im Formengefühl,
in der Stimmungskapazität der bewußten Seele seinen Widerhall finden, wenn
es zu einem Kunstwerk, zu einem Bild werden soll. Das ist Sehen! Nur
dieses Sehen, das bewies auch unsere Ausstellung, vermag statt kalter Kopien
der Natur, seelenloser Abbildungen, Seele und Persönlichkeit im Porträt zu
vereinigen. Und nur dieses feinere Sehen vermag den individuellen Häßlich-
keiten, die trotzdem dargestellt zu werden verdienen, Formenfeinheit, ja Schön-
heit zu verleihen, um nur an den Kopf Beethovens zu erinnern. Den häßlichen
Schädel Beethovens so darzustellen, daß man dahinter den edlen Kern hoher
geistiger Begabung sucht und findet, daß er im höheren Sinne schön wirkt,
ist nur dem möglich, der mit künstlerischem Auge die unreinen Linien in
Harmonie zu bringen vermag. Dieser Zug zum Künstlerischen hat nach den
ausgestellten Bildern in Stuttgart eine Reihe guter Erfolge gezeitigt, ganz be-
sonders bei den Porträts von Th. Andersen und H. Lill. Der neue Inhaber
der Firma Andersen, Ph. Günther, hat die Traditionen seines Vorgängers in
 
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