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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1907-1908

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Beutinger, ...: Das Haus Drautz in Heilbronn
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https://doi.org/10.11588/diglit.7713#0028
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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins.

das ganze Haus beherrscht, zusammengeschlossen, in welchen der Querbau
einschneidet. Die beiden Giebel sind durch die attika-artige Lösung organisch
verbunden. Ein ähnliches bindendes Motiv auf der Höhe, wo sonst etwa das
Hauptgesimse sitzt, ist durch die durchlaufende Gurte mit dem Kettenmotiv
erzielt. Jedes kleine Motiv, Türmchen, Spitze usw. sind mit Absicht ver-
mieden, denn sie würden die Wirkung des Hauses nur zerreißen und die
Absicht des Bauherrn in seinem Bauprogramm, einen Besitz zu zeigen, der
ohne Ueberladung ein in sich gefestigtes Haus und einen soliden Besitzstand
darstellen sollte, unmöglich gemacht haben.

Die Stadt Heilbronn hat jahrelang unter dem Einfluß des Entstehens
charakterloser Gebäude aller Art gelitten und doch lag es so nahe, die Ge-
danken der früheren Bewohner wieder zur Tat werden zu lassen. Wir haben
nicht nur entlang dem Neckar noch einige recht prächtige Gebäudegruppen,
sondern auch in alten Gäßchen und Winkeln ganz vorzügliche Haustypen, ins-
besondere in der Form und auch in der Verwendung der Materialien. Früher,
durch das ganze Mittelalter hindurch, bis etwa 1850 und 1860 war für die
Stadt der massive Steinbau oder der Fachwerk- und Putzbau vorherrschend,
welcher erst durch die Verblenderarchitektur jahrzehntelang unterdrückt wurde.
Diese verdanken hauptsächlich ihre Fürsprache dem für die Ausführung
gewisser Bauten gerechtfertigten Mißtrauen gegen Putz. Eine Unzahl von
Bauspekulanten hat in und nach den siebziger Jahren Fachwerksbauten ge-
wöhnlichster Art erstellt und diese dazu noch mit dem denkbar schlechtesten
Verputz auf das Holz nach außen verkleistert. Die notgedrungene Folge
war, daß ein derartiger Putz in wenigen Jahren häßlich wird, abblättert und
vollständige Neuherstellungen erfordert. Das große Publikum, welches diese
an sich einfachen Vorgänge nicht kannte, bemerkte nur die mangelhafte Aus-
führung und den defekten Putz und war zum Schluß gegen die Verwendung
jeden Putzes im Aeußern so eingenommen, daß es außerordentlich schwer
hielt, überhaupt wieder einen Putzbau durchzuführen. So kam es, daß große
Villen und Landhäuser in einer geradezu schauderhaften Verblenderarchitektur
erstellt wurden, Materialien, welche noch nach Jahrzehnten als trockene Ge-
bäudemassen in der toten Farbe der Verblender in ihrer Umgebung stehen.

Außer diesen Materialien wurden früher sehr häufig, insbesondere gegen
die Wetterseite zur dekorativen Durchbildung von Giebeln und auch an senk-
rechten Flächen Ziegel verwendet. Auch dafür haben wir in Heilbronn Bei-
spiele in sehr großer Anzahl. Das Auffallende ist nur, daß die meisten Leute,
trotzdem sie täglich daran vorbeigehen, diese nicht sehen. Wenn sie aber zu
neuem Leben erweckt, irgendwo neu entstehen, so wird trotzdem von Sucht
moderner Ansichten usw. gesprochen. Es ist dies ein Zeichen, daß es nicht
so leicht ist, einen empfänglichen Sinn für gefällige Farben, für ausdrucksvolle
Kontraste, dem Laien einen Genuß an Ausdrucksmitteln zu ermöglichen, die
schon seine Großväter umgeben haben. Nicht etwa die einzelnen Einfälle,
geistreiche Details usw. sind es, welche die Wirkung irgend eines Kunst-
werks oder eines Gebäudes beeinflussen, sondern die Gedanken, welche
konsequent aus dem baulichen Organismus entwickelt werden und
der Künstler muß bei aller Bescheidenheit doch seinen Arbeiten den Stempel
seiner Persönlichkeit aufdrücken. Auf diese Art werden wir bei ruhiger weiterer
Entwicklung auch wieder zu guter Architektur und Kunst gelangen. Diese
 
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