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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1907-1908

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Muthesius, H.: Das Problem der neuzeitlichen Organisation des Kunstgewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.7713#0038
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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins.

Auch in Deutschland sind, sobald die neue, von Künstlern getragene Be-
wegung eingesetzt hatte, Versuche in der Richtung unternommen worden, daß
Künstler selbständig in der Produktion und im Vertriebe auftraten.

Das bekannteste Beispiel sind die vereinigten Werkstätten in München.
Gerade bei diesem Betriebe hat sich jedoch herausgestellt, daß sich die Organisation
in dieser Form nicht bewährte. Die anfängliche Vereinigung von Künstlern
ging bald in ein mit Hilfe von Künstlern produzierendes industrielles Unter-
nehmen über, wobei jedoch der frühere Name bis heute beibehalten worden ist.

Die Höhe, zu der heute jede menschliche Tätigkeit entwickelt ist, schließt
es aus, daß sich ein und derselbe Mensch auf zwei so getrennten Gebieten
erfolgreich betätigen kann, wie es die geistige Produktion und der kaufmännische
Betrieb sind. Jedes dieser Gebiete erfordert einen ganzen Kopf und eine
volle Kraft. Bei den neueren kunstgewerblichen Vorgängen sind mit Vorliebe
die früheren handwerklichen Verhältnisse als Vorbild betrachtet worden.
Man kann aber behaupten, daß darin vielleicht der größte Irrtum vorliegt,
der im Zusammenhange mit dieser Materie begangen worden ist.

Das moderne Kunstgewerbe ist eine grundsätzlich andere Erscheinung, als
die alte Handwerksblüte, vor allem deshalb, weil es in eine volkswirtschaftlich
total veränderte Zeit fällt. Es muß sich notwendigerweise auf der Basis des
modernen "Wirtschaftslebens organisieren.

Die Lebensansprüche, das gesellschaftliche Niveau, der Bildungsgrad des
heutigen kunstgewerblichen Künstlers schließen es vollständig aus, daß dieser
seine Erzeugnisse mit eigener Hand ausführt. Er könnte sich höchstens in
Objekten betätigen, die von vornherein einen ähnlich hohen Affektionswert
haben wie etwa Gemälde oder Bildwerke. Damit wäre aber immerhin für
die große Allgemeinheit noch wenig gewonnen, vor allem wären die Kräfte
dieses Kunstgewerblers nicht in dem Maße nutzbar gemacht, als es zum Vor-
teil der Durchschnittsbevölkerung erwünscht wäre.

Das was not tut ist vielmehr, daß sich die befähigten kunstgewerblichen
Kräfte in den Dienst der Allgemeinheit stellen, indem sie an eine Versorgung
der Massen herantreten. Dies kann aber nur geschehen durch eine Ver-
bindung mit der produzierenden Industrie, die so organisiert sein
muß, daß den Interessen sowohl des Künstlers als des Produzenten
in gleicher Weise gedient ist. Die Vorteile beider Parteien müssen in
gerechter Weise abgewogen und es muß ein gegenseitiges Verhältnis geschaffen
werden, das dem Künstler einen gewissen Anteil an dem Erfolge derjenigen
Gegenstände gewährleistet, deren geistiger Schöpfer er ist.

Aehnliche Verhältnisse haben wir seit langer Zeit auf einem anderen Gebiete,
auf dem es sich ebenfalls darum handelt, geistige Produkte industriell zu ver-
treiben, nämlich im Buchhandel. Auch hier wird dem Verfasser ein gewisser
Anteil an dem Erfolge des Buches zugestanden. Die vertragliche Fixierung
ist die verschiedenste, auf alle Fälle läuft der Vertrag aber darauf hinaus,
dem Autor eine entsprechende Entschädigung zuzusichern. Daß dabei der
Name des geistigen Urhebers des Werkes in erster Reihe genannt wird und
nicht etwa unterdrückt werde, liegt heute für jeden vernünftigen Menschen
auf der Hand.

Der Buchhändlervertrag würde also eine Parallele für diejenigen von Kunst-
gewerblern geschaffenen Erzeugnisse sein, bei denen es sich mehr um die
 
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