Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1907-1908

DOI Artikel:
Muthesius, H.: Das Problem der neuzeitlichen Organisation des Kunstgewerbes
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7713#0044
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
38

Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins.

gegenseitiger Beratung Entscheidungen herbeiführt. Alle auf den Betrieb be-
züglichen Fragen werden in diesen Zusammenkünften erörtert. Die Arbeits-
ordnung ist unter Mitwirkung und im Einverständnis mit dem von der ge-
samten Arbeiterschaft gewählten Arbeiterausschuß festgesetzt. Die Mitarbeiter-
schaft der Arbeiter an dieser Arbeitsordnung bringt es mit sich, daß bei diesen
ein solches Verantwortungsgefühl großgezogen ist, daß Strafen überflüssig ge-
macht sind und daß auch das System der Kontrollmarken über den pünkt-
lichen Ein- und Ausgang der Arbeiter wegfallen konnte. Man vertraut in
alledem auf den guten Arbeitsgeist. Dieser Fabrikparlamentarismus hat sich
als sehr segensreich erwiesen. Er gewährt beiden Parteien Einblick in die
gegenseitigen Verhältnisse, er schafft Verstimmungen aus der Welt, ehe sie
das Arbeitsverhältnis gefährden.

Von dem Arbeitsgeist des Betriebes gibt der Umstand Zeugnis, daß der
Arbeiterwechsel ein außerordentlich geringer ist. Der Grundbestand der
Arbeiterschaft ist noch von Anfang der Gründung der Werkstätten an vor-
handen. Das Einkommen der Leute hat sich mit den Jahren ständig vergrößert.
Arbeitseinstellungen sind niemals vorgekommen, auch nicht zur Zeit der Tischler-
streiks von 1903 und 1907. Die Werkstätten verfolgen das Prinzip, den
Tüchtigsten unter den Arbeitern Gelegenheit zum Aufrücken in höhere Stellungen
zu geben. So sind die Werkmeister durchweg ehemalige Tischler, ebenso die
Zeichner des Bureaus, denen die Werkstätten besondere Ausbildung haben
zuteil werden lassen. Auch zu Verkäufern sind ehemalige Tischler empor-
gestiegen. Im ganzen haben bis jetzt einundzwanzig Leute derartige höhere
Stellungen erlangt.

Eine besondere Aufmerksamkeit wird der Fortbildung und der geistigen
Anregung der Leute gewidmet. Es ist eine bereits zu umfänglicher Größe
angewachsene Fabrikbibliothek vorhanden, es werden von namhaften Fach-
leuten und Gelehrten volkswirtschaftliche und kunstgewerbliche Vorträge für
die Leute gehalten, die Werkstätten haben ein Abonnement von mehreren
Sitzen im Theater und in den besten Konzerten, das den Arbeitern umschichtig
zur Verfügung steht. Neuerdings beabsichtigt die Leitung, der Lehrlings-
ausbildung eine erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden, derart, daß die Lehre
im Interesse des Lehrlings aufs rationellste ausgestaltet und gleichzeitig auch
für dessen nötige intellektuelle Ausbildung gesorgt wird. Dazu gibt der Um-
stand Veranlassung, daß sich bei den Werkstätten neuerdings Lehrlinge aus
besseren Kreisen einfinden, die durch die vorzügliche Ausbildung und Fürsorge
sowie die Möglichkeit des Aufsteigens zu den Werkstätten hingezogen werden.
Mit den Gewerkschaften der Holzarbeiter unterhält der Betrieb Beziehungen,
und öfter hat der Leiter der Werkstätten den Gewerkschaftsvorsitzenden der
Ortsgruppe zu Beratungen über die Arbeiterverhältnisse seines Betriebes mit
eingeladen. Das innige Verständnis, welches der Leiter für Arbeiterfragen
aus den Erfahrungen seiner eigenen Vergangenheit hat, sorgt dafür, daß der
Geist des Betriebes durch eine derartige weitgehende Berücksichtigung des
Parteiprogramms der Arbeiterschaft nicht gestört wird.

Sind so schon die bisherigen sozialen Einrichtungen der Werkstätten als
eine Tat zu bezeichnen, so steht die größte und durchgreifendste Maßnahme
in der Verbesserung der Verhältnisse der Arbeiter noch bevor. Die Einsicht,
daß eine wirkliche Gesundung und Hebung der Verhältnisse der Arbeiter nur
 
Annotationen