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VI

Einleitung

Wissenschaft“ an die Zeiten, in denen die historischen Wissenschaftslehrer
sich mit Stolz darauf besannen, ein der Naturwissenschaft entgegengesetztes
V erfahren zu besitzen, und Dilthey und Rickert sich angelegentlich darüber
stritten, welche Disziplinen bei der Aufnahmeprüfung in die neu gegründete
Klasse durchfallen sollten ?x)
An eine Erneuerung dieses ,,Methodenstreits“ ist nicht gedacht; auch
nicht an die Erneuerung einer strenggläubigen Antiken Verehrung. Ein Blick
auf das Inhaltsverzeichnis genügt, um zu zeigen, daß das Problem des Nach-
lebens der Antike in solcher Breite aufgerollt wird, daß die ihm angemessene
Forschungsweise sich nicht auf einen einzelnen Begriff von antiker Tradition
festlegen läßt, also auch nicht auf den gelehrt-,,humanistisch en“. Die Ent-
wicklung und die Schicksale des Humanismus werden zwar einen Teil unseres
Untersuchungsobjektes bilden, nicht aber unser eigenes Bekenntnis restlos
bestimmen. Ebenso ist auch der Begriff der „Kulturwissenschaft“, dem wir
uns verschreiben, — im Gegensatz zu Rickerts gleichnamiger Prägung — kein
abstraktes wissenschaftstheoretisches Postulat, und ganz gewiß keine rein
philosophische Erfindung. Er bezeichnet eine Forschungsweise, die geschicht-
lich geworden und gewachsen ist, — die einerseits anknüpft an die historische
Arbeit Jacob Burckhardts, für den der Begriff „Kultur“ die Gesamtheit der
Lebensäußerungen einer geschichtlichen Epoche bedeutete, andererseits an
die anthropologische und folkloristische Forschung, wie sie für das Studium
antiker Kulte und Mythen vor allem durch Usener nutzbar gemacht worden
ist. Diese beiden Forschungswege, die auf den ersten Blick in genau entgegen-
gesetzte Richtungen zu führen scheinen, begegnen sich doch an zwei entschei-
denden Punkten:
1. In beiden Fällen gewinnt das Problem des „Nachlebens der Antike“ eine
zentrale Bedeutung: Für Burckhardt, der es auf der „Höhe“ der Kultur ver-
folgte, wurde es zum Wiedererweckungsproblem,— für die folkloristische
Forschung, die der Antike als „gesunkenem Bildungsgut“ begegnet, zum
Problem des unbewußten Fortwirkens. Rudimentenforschung und
Renaissanceforschung erweisen sich hier als zwei sich notwendig ergänzende
Seiten im Studium des Nachlebens der Antike.
2. Gemeinsam ist aber beiden Forschungsrichtungen auch die Tatsache, daß
sie, jede innerhalb ihrer eigenen Fragestellung, die Gesamtheit der Kultur zu
umfassen suchen. Wenn Burckhardt die Kultur eines Zeitalters schildert, so stellt
er neben die Beschreibung der künstlerischen Leistungen auch die der häus-
lichen Bräuche und des festlichen Lebens, neben die der wissenschaftlichen
Bildung auch die des Aberglaubens. So ist es auch in anthropologischen und
folkloristischen Forschungen von jeher üblich, daß die Materialsammlung sich
über alle Formen der Lebensäußerung erstreckt: von den religiösen Bräuchen,
Festen und Spielen bis zur Bildform und sprachlichen Äußerung.
Diese Blickrichtung auf die Gesamtkultur, gelenkt von einem speziali-
sierten Interesse für die Funktion der nachlebenden antiken Elemente, gibt
der vorliegenden Bibliographie ihre methodische Form.
i) Heinrich Rickert, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft (i. Aufi. 1899) dazu:
Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften Ges. Schriften I, Leipzig 1922, S. 4O9ff.
 
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