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i8. und 19. J ahrhundevt

tungen, seine Bibelkritik, seine Auffassung
des Verhältnisses von Kultur und Religion
(wobei der Einfluß des Vaters hervor-
gehoben wird), seine Poetik und Stiltheorie
und — höchst unzureichend — sein Ver-
hältnis zur Antike, werden mit diesem Arg-
wohn untersucht; doch fühlt man, daß die
Polemik sich im Grunde doch nur richtet
gegen den „tone for which Professor Bab-
bitt strives". E. W.
1163 BARDOUX, JACQUES, Le culte du beau
dans la eite nouvelle. John Ruskin,
poete, artiste, apötre. 4. ed. Paris: Ca-
mann-Levy. XII, 534 S.
Nach einer Einleitung über die idea-
listisch-soziale Bewegung in England und
Frankreich zu Beginn des 19. Jahrh.
gliedert sich das Buch in vier Hauptteile:
1. La Vie (eine sorgfältig dokumentierte
Biographie John Ruskins),
2. La Pensee (eine psychologische Analyse
seiner Mentalität und Arbeitsmethode),
3. Les Idees (eine systematische Darstellung
und Kritik seiner Kunstlehre und poli-
tischen Ökonomie),
4. La Langue (eine Untersuchung seiner
Sprachform und ihrer Wirkung).
Obwohl der dritte sowohl wie der vierte
Teil reiches Material für das Thema dieser
Bibliographie bieten, liegt der Schwer-
punkt doch auf dem zweiten, wo gezeigt
wird, wie Ruskin, Visionär und zugleich
Protestant, einem konkreten Idealismus
der Einbildungskraft huldigt, alle Dinge in
Symbole zu verwandeln sucht, sich durch
sentimentalisches Naturgefühl erregen läßt,
aber letzten Endes doch immer zur alle-
gorischen Moralisierung drängt. Aus diesem
Pathos des Predigers erklärt sich auch die
Einstellung zur Antike. „C'est de la bible
qu’il avait appris le Symbole d’Homere et
la foi d’Horace.“ Apollo als Gott des Ge-
sanges und der Beredsamkeit, Athene als
Göttin der Erfindung und der verpflichten-
den Vernunft, Demeter als Göttin der irdi-
schen Fürsorge, werden zu Symbolen für
Grundkräfte des griechischen Lebens: —
Wahrheitsstreben, Pflichtbewußtsein und
Menschenliebe, die hinfort als „apollinisch",
„athenisch" und „demetrisch" bezeichnet
werden und in Delphi, Athen und Sparta
ihre Heimat haben sollen. Die griechischen
Legenden, ihrer primitiv-mythischen Be-
deutung entkleidet, werden — wie auch

die Personen und Vorgänge der Welt-
geschichte — zu Gleichnissen für den idea-
listisch-sozialen Geist: „L’Histoire est
pour lui ce qu’avait ete la poesie: un
pretexte ä dissertations, une source de
letjons." In ähnlich gewaltsamen, poetisch-
didaktischen Antithesen vollzieht sich auch
die Abgrenzung der Antike gegen das
Mittelalter: „Greek law is of stasy, Gothic
of ecstasy.“ E. W.
FARMER, ALBERT J., Le Mouvement 1164
esthetique et ,,decadent" en Angleterre
(1873—1900). Paris: Champion. IX,
413 S.
Diese sowohl biographisch wie stil-
kritisch fest unterbaute Studie deutet die
englische „Decadence"-Literatur, statt als
Verfalls- und Zersetzungserscheinung, als
einen Durchbruch der wieder frei werden-
den poetischen Kräfte durch die materiali-
stischen Bindungen der viktorianischen
Zeit. Im ersten Teile des Buchs werden die
Vorläufer der Bewegung, im zweiten, be-
sonders breit ausgeführten, das Werk und
die Persönlichkeit Oscar Wildes, im dritten
die eigentlichen Repräsentanten der „Nine-
ties" behandelt, die sich um den „Rhy-
mers Club" und die Zeitschriften „Yellow
Book" und „Savoy“ gruppierten. Für das
Thema dieser Bibliographie ist der erste
Teil der wichtigste. Denn entgegen der üb-
lichen Auffassung will der Verf. die im
Decadence-Stil sich äußernde Befreiung
und Selbstverherrlichung der Poesie nicht
allein auf französische Einwirkungen zu-
rückleiten, sondern darüber hinaus auf eine
Nachwirkung und bewußte Wiederauf-
nahme von Motiven, die sich innerhalb der
englischen Tradition lebendig erhielten.
Von Keats führt diese Linie der Vorfahren
über Ruskin, die Präraffaeliten und Swin-
burne zu Walter Pater, der als Klassiker
des reinen „Ästhetizismus“ das Credo der
späteren „Decadence" in zurückhaltender,
aber um so verheißungsvollerer Form vor-
wegnahm: „Singulier paradoxe. Le mouve-
ment que aboutira au renversement des
valeurs etablies, ä l’immoralisme proclame,
trouve son animateur dans un humaniste
scrupuleux."
Die Funktion des „Paganismus" in der
Wiedererweckung der poetischen Kräfte
zu Ende des 19. Jahrh. zu klären — dies
ist die Aufgabe, die dieses Buch durch seine
 
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