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Zur Geschichte des hohen Westerwalds

(Sechshundert Jahre Liebenscheid) *
Von Karl Wolf

Was nicht aufgeschrieben ist, ist nicht in der Welt, lautet ein alter Spruch der
'bildungsstolzen Humanisten. Im Sinne dieses Spruches hat man sich gewöhnt, als
Entstehungstag alter Ortschaften, deren Ursprung unbekannt ist, jenen Tag
anzusehen, an dem ihr Vorhandensein zum erstenmal in alten Urkunden nachzu-
weisen ist, und dementsprechend J ahrhundertfeiern zu veranstalten, wenn nicht
gerade Krieg oder andere schwere Not solchen frohen Festen wehrten. Lieben-
scheid hätte 1941 eine solche Feier begehen können. Denn in einer Urkunde vom
13. Juni 1341, in der zwei Brüder, Otto und Heinrich, Grafen von Nassau-Dillen-
burg, sich über eine Teilung des Gebietes einigen und dem jüngern Bruder die
Herrschaft Beilstein zufallen soll, wird neben dieser Burg und der von Mengers-
kirchen auch Liebenscheid genannt. Wenn nun auch dieser Ort auf dem hohen
Westerwald nur 351 Einwohner hat (so 1925), die sich ausschließlich von der Land-
wirtschaft ernähren und kein altes Bauwerk von ehemaliger besonderer Bedeutung
zeugt, so ist doch mancherlei Interessantes von der .‚Stadt‘‘ Liebenscheid zu
erzählen.

Die Teilung der Grafschaft war notwendig geworden, da Graf Heinrich, der in
den geistlichen Stand getreten und Domherr zu Worms geworden war, das geist-
liche Gewand abgelegt hatte, um zu heiraten. Dieser lebenslustige, dem Sparen
abholde Landesherr versetzte zwar den Ort zeitweise in Geldnot, hatte aber sonst
eine besondere Vorliebe für ihn und verschaffte ihm i. J. 1360 vom Kaiser Stadt-
rechte „gleich Wetzlar‘‘; und da das Dorf Weißenburg nahe dabei lag, so wurde
diesem die Vergünstigung ebenfalls gewährt. Das an der nordwestlichen Grenze
Nassaus gelegene Liebenscheid wurde nun mit einer turmbekrönten Mauer um-
geben, vor der sich ein Graben herzog, um feindliche Gewalt abzuwehren. Es
wurde ihm ein Gericht zugestanden, von dem als einziges Weistum die Aufrichtung
des Burgfriedens bekannt ist: „„die Schöffen weisen, wo einer in dieser Freiheit mit
gewaffneter Hand blutige Wunden machen würde, das wir nicht verhoffen, so einer
tue, der ist meinem gnädigen Herrn mit der rechten Hand und dem linken Fuß
verfallen“ (1563). Am wichtigsten war für die Einwohner bei der Stadtrechts-
verleihung, daß der Ort eine Freiheit wurde, d. h., daß den Bürgern die Hälfte der
dem Landesherrn auf seinem beim Orte gelegenen Gute zu !eistenden Dienste erlassen
wurde. Als Gegenleistung für die Begünstigung hatten sie für die Unterhaltung der
Befestigung zu sorgen. Graf Heinrich residierte wiederholt in der Liebenscheider Burg.

Wer die erste Befestigungsanlage, eine Burg nahe der vom Rhein nach Leipzig
und der nach Frankfurt führenden Straße, erbaut hat, ist unbekannt. Vielleicht
war es einer der vielen westerwäldischen Adligen, dessen Name Liebold im Be-
stimmungswort des Ortsnamens enthalten ist. (Die Namensform wechselt in den
_ Urkunden: Liebolscheid 1341, Lybilscheit 1344, Lievelscheid 1353 usw., Lewen-
scheid 1603.) Auf die Zeit der Entstehung deutet das Grundwort -scheid hin, das
zur Bildung von Ortsnamen in der Siedlungsperiode von 1100 bis 1300 verwandt

*) Die Veröffentlichung des zum Gedenkjahr 1941 geschriebenen Aufsatzes kann — aus ın
der Kriegs- und Nachkriegszeit liegenden Gründen — erst jetzt erfolgen.

An Quellen wurden folgende Akten des Staatsarchivs Wiesbaden benutzt: Abt. 171, B 106,
246; L 920. 970; S 1178. — Abt. 172, L 591. 629. — Abt. 173, L 73. 74. 97f. 149. 152. 158.
216 ff.; M 960.
 
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