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Andermann, Kurt [Hrsg.]
Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit — Oberrheinische Studien, Band 7: Sigmaringen: Thorbecke, 1988

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Schreiner, Klaus: Erneuerung durch Erinnerung: Reformstreben, Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung im benediktinischen Mönchtum Südwestdeutschlands an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.52725#0039

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Erneuerung durch Erinnerung
Reformstreben, Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung
im benediktinischen Mönchtum Südwestdeutschlands
an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert
VON KLAUS SCHREINER

Benediktinermönche, die im späten Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit Jahrbü-
cher und Chroniken ihrer Klöster schrieben, taten das nicht in der Absicht, neugierigen Le-
sern zu anekdotischer Kurzweil zu verhelfen. Klösterlicher Geschichtsschreibung lag die Ab-
sicht zugrunde, sich gegen drohenden Kontinuitätsverlust zu behaupten. In Handschriften
nachlesbare Geschichte sollte das Gefühl geben, auf die Kraft einer weit in die Vergangenheit
zurückreichenden Tradition auch in Zukunft bauen zu können. Abtsviten, Klosterannalen
und Klosterchroniken verdankten ihre Form und Funktion nicht dem besonderen „Geist” ei-
ner Landschaft; sie wurzelten in der Gedankenwelt und Bildungstradition des benediktini-
schen Mönchtums1. Über die vestigia. patrum nachzudenken, sich über die prägenden Kräfte
des eigenen Gewordenseins Klarheit zu verschaffen, war ein Stück monastischer Selbstfm-
dung. Bezüge zur Landschaft vermittelte der Gegenstand des historischen Interesses — das in
der heimischen Region gelegene Kloster. Als Sozial-, Wirtschafts- und Herrschaftsgebilde war
es vielfältig mit seiner Umwelt verflochten.
Mönche, die Lebensläufe ihrer Vorgänger nachzeichneten, Blüte- und Krisenzeiten ihres
Profeßklosters erkundeten und in diesen die lenkende Hand eines barmherzigen Gottes zu
erkennen glaubten, gaben sich der Überzeugung hin, Teilhaber und Träger eines sinnhaften,
durch Regel und Satzung bestimmten Lebenszusammenhangs zu sein. Kontinuitätsbildend
wirkten ihrer Auffassung nach nicht allein die Dauerhaftigkeit religiöser Gebräuche und
rechtlicher Institutionen, die Beständigkeit von Kunst und Architektur; Solidarität zwischen
Generationen stiftete vor allem das ununterbrochene Ringen um die Verwirklichung der Re-
gel Benedikts. Klosterchronisten wußten, daß Konvente, deren vergangene und gegenwärtige
Schicksale sie beschrieben, nicht immer das waren, was sie hätten sein sollen: Stätten gemein-
schaftlicher Gottsuche und brüderlicher Gemeinsamkeit, Zentren tätiger Liebe und charisma-
tischer Sendung. Widersprüche zwischen Ideal und Wirklichkeit waren offenkundig; auf die
Deutung des Geschehenen blieben sie nicht ohne Einfluß. Klösterliche Geschichtsschreiber

1 Vgl. J. Leclercq, Monastic Historiography from Leo IX to Callistus II, in StudMonastica 12 (1970)
S. 57-86. Zur Ausbildung eines eigenen Berichtsgegenstandes „Kloster” unter den Bedingungen und
Interessen der hochmittelalterlichen Klosterreform vgl. F.-J. Schmale, Funktion und Formen mittelalter-
licher Geschichtsschreibung. Eine Einführung, Darmstadt 1985, S. 137f.
 
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