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Andermann, Kurt [Editor]
Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit — Oberrheinische Studien, Band 7: Sigmaringen: Thorbecke, 1988

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Johanek, Peter: Historiographie und Buchdruck im ausgehenden 15. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.52725#0122

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118

JOHANEK

Blickt man nun zuletzt auf jene Geschichtsschreibung, die im Grunde zwischen dem genas
topicum und dem genus speciale des Trithemius zu liegen kommt, auf die reiche Landes- und
Stammeschronistik des spätmittelalterlichen Reiches in ihren mannigfachen Ausformungen
und fragt, was davon in der Inkunabelzeit gedruckt wurde, so findet man, daß hier nicht nur
der Oberrhein andere Wege geht als die übrigen Zentren des Buchdrucks, sondern daß hier
tiefgreifende Unterschiede zwischen Norden und Süden Deutschlands bestehen. Die Titel
sind zum Teil schon genannt: Werner Rolevincks Westfalenbuch167 und Konrad Botes Sach-
senchronik168. Dazu kommen im Norden mit dem Druckort Lübeck noch eine deutschspra-
chige Bearbeitung des ’Saxo Grammaticus’ als ’Denske Kroneke’169 und die ’Chronica Slavica’,
die im wesentlichen auf Helmold von Bosau und Albert von Stade aufbaut, aber auch die
städtische Chronistik Lübecks und Lüneburgs verarbeitet170. Damit verfügte der hansische
Bereich über mehrere gedruckte Werke, die das Geschichtswissen der mittelalterlichen Chro-
nistik des deutschen Nordens zusammenfaßten, die zudem die Räume definierten, in denen
sich dessen Bewohner bewegten und ihnen historische Fundierungen gaben. Sie vermochten
identitäts- und gemeinschaftsstiftend zu wirken, und in der Tat hat der Kompilator der’Chro-
nica Slavica’ derartiges im Sinn gehabt, wenn er sein Werk zur Belehrung von Klerikern in
weltlichen Dingen bestimmte, damit sie bei politischen Unterhaltungen der Bürger mitzure-
den verstünden.
Im niederländischen Bereich findet sich ebenfalls eine größere Zahl gedruckter regionaler
Chroniken. Schon 1478 ist in Gouda eine ’Historia van Holland und anderen niederländi-
schen Territorien gedruckt worden171, und ähnlich hat Jan Veldener seiner niederländischen
Ausgabe des ’Fasciculus temporum’ einen Anhang beigegeben, der neben abrißartigen Dar-
stellungen der französischen und englischen Geschichte ebenfalls mehrere Chroniken nieder-
ländischer Territorien enthält172. Schließlich erschien 1497 in Antwerpen eine ’Cronike van
Brabant’, die in einer Kombination von Landesbeschreibung, Hagiographie und Dynastiege-
schichte die Geschicke des Landes von der Sintflut bis zu Maximilians I. Aachener Krönung
erzählt173. Bereits diese letzten Beispiele bemühten sich zumindest teilweise um die Legitima-
tion der Herrschaft der Habsburger in den Ländern des alten burgundischen Herrschaftsbe-
reichs. Ganz offenkundig dient diesem Zweck jedoch das kurze bebilderte Schriftchen der
’Chronique de rois, ducs et comtes de Bourgogne’. Es wurde zwar in Lyon gedruckt, doch

167 Wie Anm. 122.
168 Wie Anm. 105.
169 Hain 1496, Lübeck 1481, vgl. zu ihr Repertorium Fontium Historiae Medii Aevi 3, Rom 1970,
S. 320 f.
170 GW 6692/93 Lübeck, Matthäus Brandis nach 1485, lat. bzw. niederdeutsch; zu den Quellen vgl.
die Ausgabe von E.A.Th. Laspeyres, Chronica Slavica, Lübeck 1865, S. VI ff, LI-LIV.
171 ’Cronike of die Hysterie van Hollant, van Zeelant ende Vrieslant ende van den sticht van
Utrecht’, Hain 5011-5013, Gouda, Gheraert Leeu 1478, später in Delft (ca. 1480/84) und Leiden 1483;
sie hatte auch handschriftlich beträchtliche Verbreitung, vgl. M. Carasso-Kok, Repertorium van verha-
lende historische bronnen uit de middeleeuwen, ’s-Gravenhage 1981, S. 179 f, Nr. 152.
172 Hain 6946 von 1480; behandelt werden Brabant, Utrecht, Flandern, Geldern und Kleve, z.T. in
ähnlicher graphischer Gestaltung wie im ’Fasciculus temporum’ (benützt: Berlin, Deutsche Staatsbiblio-
thek, 4° Inc. 4948); vgl. zum Komplex dieser Chroniken Carasso-Kok (wie Anm. 171) S. 339-346,
Nr. 311-319.
173 GW 6667, Roeland van den Dorpe; benütztes Exemplar: Oxford, Bodleian Library, Auct. 2 Q.inf.
213.
 
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