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Österreichisches Archäologisches Institut [Hrsg.]
Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien — 18.1915

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Hekler, Anton: Hellenistischer Porträtkopf im Nationalmuseum zu Athen
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https://doi.org/10.11588/diglit.34106#0074

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Hellenistischer Porträtkopf im Nationalmuseum zu Athen.

Beistehend wird mit gütiger Erlaubnis der Herren Direktoren Stais und
Kastriotis ein Marmorkopf aus den reichhaltigen Magazinen des Athenischen National-
museums (Inv.-Nr. 2800)*) zum ersten Male abgebildet, der trotz der argen Verstüm-
melung als eine Glanzleistung hellenistischer Porträtkunst kenntlich, unmittelbar
neben dem Bilde des greisen Homers eingereiht werden muß (Abb.31 u. 32). Was
beide verbindet, ist nicht nur die gleiche souveräne Beherrschung der Formen, sondern
auch die gleiche Meisterschaft der psychischen Charakteristik. In beiden erblicken
wir weltgeschichtliche Charakterbilder im höchsten Sinne des Wortes.
Die kunstgeschichtliche Bewertung und Erläuterung des Athener Kopfes ver-
ursacht keine größeren Schwierigkeiten. Das kahlköpfige Greisenantlitz mit hoher,
stark durchfurchter Stirne und mageren, welken Wangen, wird von üppigem, dichtem
Barte umrahmt, der, den vom Oberkopfe seitlich und hinten herunterströmenden
Haaren entsprechend, in dicke Einzellocken zerfällt. Oben am Schädel liegt ein breiter
ReiP). Die kleinen, stechenden Augen sitzen tief in der Augenhöhle und werden von
den zusammengezogenen Brauen beschattet. Der Ausdruck des verfallenen, häßlichen
Gesichtes ist von Gram und sarkastischer Bitterkeit erfüllt.
Ein Vergleich mit dem Homerporträt, wo mit ähnlichen, rücksichtslos reali-
stischen Mitteln ein ganz anders gefärbtes geistiges Charakterbild erstand, wird nicht
nur das Eigenartige im physiognomischen Aufbau des Athener Kopfes besser be-
leuchten, sondern zugleich zeigen, mit welch außergewöhnlicher Vorstellungskraft
und mit welch bewußter Sicherheit an beiden die schaffenden Künstler jede scheinbar
zufällige Einzelheit zur inneren Charakteristik verwertet haben. In den Zügen des Homer-
kopfes (Abb. 33 u. 34) spiegelt sich selbstvergessene innere Ergriffenheit, an unserem
Alten dagegen Unzufriedenheit und leidenschaftliche äußere Erregung, Eigenschaften,
welche wie Sturmwind die Gewitterwolken alle geistigen und Willenskräfte in Be-
wegung setzen. Beim Homer sind alle Muskelpartien rings um das erloschene Auge
spannungslos aufgelockert, geöffnet; am Athener Kopf strebt dagegen alles von einem
Willensakt gelenkt der Mitte zu. Alle Linien und Formen drängen und sammeln sich

1) Im Herbste des Jahres 1913 war der Kopf
im Vorraume des Amtszimmers von Kastriotis auf-
gestellt.
2) Über die Bedeutung des Reifes vgl. zuletzt
Arndt im Texte zu Arndt-Bruckmann, Griech. und

röm. Porträts T. 951 —956; vgl. Phot. Einzel-
aufnahmen Nr. 961: eine Replik des Metrodor-
kopfes mit Reif, als Beweis dessen, daß mit
diesem Attribut nicht nur Dichterköpfe ausge-
stattet wurden.
 
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