Die Entwicklung des dorischen Kapitells.
Von jeher bestand beim Säulenbau die große Schwierigkeit, zwischen der
runden Form der Säule und der eckigen des auf ihr ruhenden Architravs ein ver-
mittelndes Glied zu finden, das sowohl den statischen als auch den künstlerischen
Anforderungen entsprach. In genialer und dabei einfachster Weise haben zuerst
mykenische Baukünstler diese Schwierigkeit glänzend überwunden, indem sie diese
Frage dadurch lösten, daß sie eine viereckige Platte auf einen runden Wulst legten
und so eine architektonische Form schufen, die sowohl technischen wie ästhetischen
Wünschen vollauf genügte.
Aus der monumentalen Architektur mykenischer Zeit bietet ein Kapitell der
Halbsäulen des großen Kuppelgrabes in Mykenae das einzige erhaltene Beispiel*).
Bei diesem schiebt sich zwischen den viereckigen Abakus und den runden Wulst
noch eine flache Kehle ein und ebenso zwischen Wulst und Säulenschaft eine weit-
ausladende mit plastischem Blattstab geschmückte Hohlkehle (Abb. m), deren Ab-
schluß nach unten an den erhaltenen Fragmenten nicht mehr erhalten ist, aber
nach einer Vermutung Meurers^) wohl zweifellos in einem Rundstab bestand wie an
der Säule des Löwentorreliefs in Mykenae und an kleinen in Felsgräbern von My-
kenae gefundenen Elfenbeinsäulchen.
Wir sehen also beim mykenischen Kapitell die beiden charakteristischen und
in die Augen fallenden Teile des dorischen Kapitells, Echinus und Abakus, schon ver-
treten. Es war nur noch ein kleiner Schritt zu tun, um vom mykenischen Wulst
zum dorischen Echinus zu gelangen; es mußte dazu nur die Form des Wulstes ein
wenig verlängert, die Linie ein wenig hinausgezogen werden. Diese kleinen „Ver-
änderungen des Proüls genügten, um ein Meisterwerk zu schaffen'^). Allerdings
fehlt die Zwischenstufe, die vom Wulst zum Echinus überleitet, aber doch besteht
kein Zweifel, daß das dorische Kapitell aus dem mykenischen entstanden ist.
Vielleicht ist es kein Zufall, daß sich gerade in der Argolis das älteste dorische
Kapitell, das uns bekannt ist, erhalten hat, das aus dem siebenten Jahrhundert
stammende Kapitell des Heratempels in Tiryns, welches mit seiner Kesselbauchform
charakteristisch ist für eine ganze Reihe altdorischer Kapitelle. Der Echinus ist hier
weitausladend, unten hohlkehlenartig unterschnitten, oben nach einem kleinen Einzug
i) Abbildungen der Fragmente bei Noack, Die Jahrb. XXIX 1914, 3; danach Abb. 111.
Baukunst des Altertums, Taf. 14 a, b. 3) Perrot-Chipiez, Histoire de l'art VII 437.
Von jeher bestand beim Säulenbau die große Schwierigkeit, zwischen der
runden Form der Säule und der eckigen des auf ihr ruhenden Architravs ein ver-
mittelndes Glied zu finden, das sowohl den statischen als auch den künstlerischen
Anforderungen entsprach. In genialer und dabei einfachster Weise haben zuerst
mykenische Baukünstler diese Schwierigkeit glänzend überwunden, indem sie diese
Frage dadurch lösten, daß sie eine viereckige Platte auf einen runden Wulst legten
und so eine architektonische Form schufen, die sowohl technischen wie ästhetischen
Wünschen vollauf genügte.
Aus der monumentalen Architektur mykenischer Zeit bietet ein Kapitell der
Halbsäulen des großen Kuppelgrabes in Mykenae das einzige erhaltene Beispiel*).
Bei diesem schiebt sich zwischen den viereckigen Abakus und den runden Wulst
noch eine flache Kehle ein und ebenso zwischen Wulst und Säulenschaft eine weit-
ausladende mit plastischem Blattstab geschmückte Hohlkehle (Abb. m), deren Ab-
schluß nach unten an den erhaltenen Fragmenten nicht mehr erhalten ist, aber
nach einer Vermutung Meurers^) wohl zweifellos in einem Rundstab bestand wie an
der Säule des Löwentorreliefs in Mykenae und an kleinen in Felsgräbern von My-
kenae gefundenen Elfenbeinsäulchen.
Wir sehen also beim mykenischen Kapitell die beiden charakteristischen und
in die Augen fallenden Teile des dorischen Kapitells, Echinus und Abakus, schon ver-
treten. Es war nur noch ein kleiner Schritt zu tun, um vom mykenischen Wulst
zum dorischen Echinus zu gelangen; es mußte dazu nur die Form des Wulstes ein
wenig verlängert, die Linie ein wenig hinausgezogen werden. Diese kleinen „Ver-
änderungen des Proüls genügten, um ein Meisterwerk zu schaffen'^). Allerdings
fehlt die Zwischenstufe, die vom Wulst zum Echinus überleitet, aber doch besteht
kein Zweifel, daß das dorische Kapitell aus dem mykenischen entstanden ist.
Vielleicht ist es kein Zufall, daß sich gerade in der Argolis das älteste dorische
Kapitell, das uns bekannt ist, erhalten hat, das aus dem siebenten Jahrhundert
stammende Kapitell des Heratempels in Tiryns, welches mit seiner Kesselbauchform
charakteristisch ist für eine ganze Reihe altdorischer Kapitelle. Der Echinus ist hier
weitausladend, unten hohlkehlenartig unterschnitten, oben nach einem kleinen Einzug
i) Abbildungen der Fragmente bei Noack, Die Jahrb. XXIX 1914, 3; danach Abb. 111.
Baukunst des Altertums, Taf. 14 a, b. 3) Perrot-Chipiez, Histoire de l'art VII 437.