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Das Alterlum

Läßt man die Fülle dieser Eigenschaften und Zuordnungen an sich
vorüberziehen, so erhält man zunächst einen geradezu tollen Eindruck:
der Saturn soll trocken sein, aber manchmal auch feucht; er bedeutet
die höchste Armut, aber auch großen Besitz, Betrügerei, aber auchWahr-
haftigkeit, Wohnstätten, aber auch lange Seereisen und Verbannung;
die unter ihm g'eborenen Menschen sind Sklaven und Verbrecher, aber
auch Lenker der Herrschaft und Menschen von unerschöpflicher Weis-
heit und tiefen Gedanken. Allein dieses Chaos ordnet sich, sobald man
sich seine Genesis klargemacht hat. Das eben ist die religionsge-
schichtlich so bedeutsame Tatsache, daß jene spät-antiken astrologi-
schen Quellen, die Abü Ma'sar hier zusammengestellt hat (ihm selber
kommt natürlich nur die Rolle eines großen Kompilators zu), neben
den astronomischen und allgemein-naturwissenschaftlichen
Bestimmungen, die die vermeintlichenEigenschaften des Gestirnes
Saturn charakterisieren, den gesamten Komplex dessen enthalten, was
die antike Mythologie von dem Gotte Saturn überlieferte, mit dem
man seit der Mitte des IV. Jahrhunderts jenes Gestirn identifizierte;
es hat sich also in einer anscheinend religiös indifferenten, profan-sach-
lichen Form dennoch antike Religiosität bewahrt und — eben wegen
und in dieser Verwandlung — auch für die Folge so lebendig erhal-
ten, daß gerade die verstimten, also scheinbar entgötterten Götter noch
viele Jahrhunderte hindurch den Gegenstand gläubiger Verehrung, ja
förmlicher Kulte zu bilden vermochten* 1), während die nicht verstirn-
ten — Hephaistos, Poseidon, Athene — nur in gelehrten Kompendien
ein schattenhaftes Dasein führten, um erst im Humanismus der Früh-

zwei im XII. Jahrhundert abgefaßten lateinischen Übersetzungen dieses Textes
(von Johannes Hispalensis und Hermannus Dalmata) nebst einer wichtigen Par-
allelstelle sind im I. Anhang zusammengestellt.

i) Vgl. hierzu neuerdings H. Ritter, Picatrix, ein arabisches Handbuch helle-
nistischer Magie in ,,Vorträge d. Bibl. Warburg“, 1922, p. 94 ff., ferner F. Saxl,
Beiträge zu einer Geschichte der Planetendarstellungen im Orient und im Okzident
(Islam III, 1912, p. 152 ff.), und in der vorliegenden Arbeit p. 41, Anm. 3; zu
analogen Erscheinungen in der ital. Renaissance vgl. die Zusammenfassung von
Warburgs Forschungen bei F. Saxl, Rinascimento dell’antichitä, Rep. f. Kunstw.
XLIII, 1921, p. 220ff. Sehr bezeichnend ist es auch, daß, während noch bei
Proklos (im Anschluß an Platos Phaidros) alle großen olympischen Götter als
die Regenten jener ceipai genannt werden, die — durch den ganzen Kosmos hin-
durchlaufend — die dem Wesen des betreffenden Gottes (und damit einander)
„entsprechenden“ Dinge und Menschen miteinander verknüpfen, späterhin nur
mehr den sieben mit den Planeten identifizierten Gottheiten diese reihenbildende
Kraft beigemessen wird, während die nichtverstirnten Götter entweder ganz aus
der Betrachtung ausscheiden, oder aber, unter völliger Aufgabe ihrer Personalität,
gewissermaßen von den Planetengöttern resorbiert werden (vgl. auch hierzu Ritter,
a. a. O.).
 
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