Die Melancholie (Aristoteles) I $
behält die Weltanschauung und das Schicksal des satumischen Men-
schen, auch da, wo ihm das im Rahmen seiner Konstellation günstig-
ste Los zuteil geworden ist, den Charakter des Düsteren und Triiben:
dieselbe Zeit, die dem Saturn das „BeuiprvnKÖv“ verglichen hat, ver-
gleicht ihm auch die „Träne“.1)
DIE MELANCHOLIE (ARISTOTELES)
Diese besonders ausgeprägte Polarität, die die Vorstellung des
Saturn charakterisiert, charakterisiert nun auch die Vorstellung der
Melancholie. Wie schon gesagt, ist es im Altertum noch nicht dazu
gekommen, die vier Temperamente als individuelle, aber innerhalb die-
ser Individualisierung sozusagen „normale“ Ausprägungen der mensch-
lichen Natur zu formulieren: die drei vermeintlich neben dem Blut vor-
kommenden Säfte — das Phlegma, die gelbe Galle und ganz beson-
ders die schwarze Galle — bezeichneten ursprünglich unnatürliche
und schädliche Stoffe, humores viciosos, die gleichsam als Zerset-
zungsprodukte des Organismus betrachtet wurden (vgl. z. B. die be-
kannte Stelle in Platos Timaios2); die Adjectiva qpXefpcxTiKÖc, xoXepiKÖc
und ganz besonders peXcrfXoXiKÖc sind daher zunächstnurKrankheits-
bezeichnungen, so daß, als sie späterhin zu Temperamentsbezeich-
nungen umgewandelt werden sollten, für das vierte Temperament, das
sanguinische, kein griechischer Name bereitlag, weil eben das „Blut“
keinen krankhaften, sondern gerade umgekehrt den natürlichsten und
wertvollsten Bestandteil des menschlichen Körpers darstellt.3) Auch
die „Melancholie“ — und sie sogar in ganz besonders hohem Maße —
ist also für die Griechen ursprünglich nichts als eine Krankheit — eine
Krankheit, die in ihrer schwersten Form dem Irrsinn gleichkommt:
„üi pox0r|pe, peXcrfXoXac“4) heißt etwa: „Armer Mensch, du bist verrückt!“
Allein nun ist es Aristoteles, in dessen berühmtem Problema
letztere Angabe aber, da sie sonst das ganze System durchbrechen würde, offenbar
auf einem Schreib- oder Lesefehler beruht: vielleicht ursprünglich „Geitigkeit"
(= Geiz) oder „Hättigkeit“ (= Gehässigkeit) ?
1) Vgl. das von Boll, Lebensalter, p. 126 angeführte hermetische Gedicht,
das aufzeigt, in welcher Weise den Menschen das Wesen der sieben Planeten inne-
wohne. Den anderen Planeten entsprechen teils positive, teils gefühlsindifferente
Vermögen und Funktionen.
2) 82/83 (ech Schneider, Didot, II, p. 241 f.).
3) Daher hat denn auch späterhin die „sanguinische“ Ivomplexion stets als
die beste, d. h. gesund-normale, gegolten, und es ist kein Zufall, wenn die Abü
Ma'sar-Übersetzung des Johannes Hispalensis, die in alle Planetentexte die (im
Qriginal noch fehlenden!) Temperamentsbezeichnungen einsetzt (vgl. unten p. 78),
dem Jupiter statt der „complexio sanguinica“ die „complexio temperata“ gibt.
4) Phaidros, 268.
behält die Weltanschauung und das Schicksal des satumischen Men-
schen, auch da, wo ihm das im Rahmen seiner Konstellation günstig-
ste Los zuteil geworden ist, den Charakter des Düsteren und Triiben:
dieselbe Zeit, die dem Saturn das „BeuiprvnKÖv“ verglichen hat, ver-
gleicht ihm auch die „Träne“.1)
DIE MELANCHOLIE (ARISTOTELES)
Diese besonders ausgeprägte Polarität, die die Vorstellung des
Saturn charakterisiert, charakterisiert nun auch die Vorstellung der
Melancholie. Wie schon gesagt, ist es im Altertum noch nicht dazu
gekommen, die vier Temperamente als individuelle, aber innerhalb die-
ser Individualisierung sozusagen „normale“ Ausprägungen der mensch-
lichen Natur zu formulieren: die drei vermeintlich neben dem Blut vor-
kommenden Säfte — das Phlegma, die gelbe Galle und ganz beson-
ders die schwarze Galle — bezeichneten ursprünglich unnatürliche
und schädliche Stoffe, humores viciosos, die gleichsam als Zerset-
zungsprodukte des Organismus betrachtet wurden (vgl. z. B. die be-
kannte Stelle in Platos Timaios2); die Adjectiva qpXefpcxTiKÖc, xoXepiKÖc
und ganz besonders peXcrfXoXiKÖc sind daher zunächstnurKrankheits-
bezeichnungen, so daß, als sie späterhin zu Temperamentsbezeich-
nungen umgewandelt werden sollten, für das vierte Temperament, das
sanguinische, kein griechischer Name bereitlag, weil eben das „Blut“
keinen krankhaften, sondern gerade umgekehrt den natürlichsten und
wertvollsten Bestandteil des menschlichen Körpers darstellt.3) Auch
die „Melancholie“ — und sie sogar in ganz besonders hohem Maße —
ist also für die Griechen ursprünglich nichts als eine Krankheit — eine
Krankheit, die in ihrer schwersten Form dem Irrsinn gleichkommt:
„üi pox0r|pe, peXcrfXoXac“4) heißt etwa: „Armer Mensch, du bist verrückt!“
Allein nun ist es Aristoteles, in dessen berühmtem Problema
letztere Angabe aber, da sie sonst das ganze System durchbrechen würde, offenbar
auf einem Schreib- oder Lesefehler beruht: vielleicht ursprünglich „Geitigkeit"
(= Geiz) oder „Hättigkeit“ (= Gehässigkeit) ?
1) Vgl. das von Boll, Lebensalter, p. 126 angeführte hermetische Gedicht,
das aufzeigt, in welcher Weise den Menschen das Wesen der sieben Planeten inne-
wohne. Den anderen Planeten entsprechen teils positive, teils gefühlsindifferente
Vermögen und Funktionen.
2) 82/83 (ech Schneider, Didot, II, p. 241 f.).
3) Daher hat denn auch späterhin die „sanguinische“ Ivomplexion stets als
die beste, d. h. gesund-normale, gegolten, und es ist kein Zufall, wenn die Abü
Ma'sar-Übersetzung des Johannes Hispalensis, die in alle Planetentexte die (im
Qriginal noch fehlenden!) Temperamentsbezeichnungen einsetzt (vgl. unten p. 78),
dem Jupiter statt der „complexio sanguinica“ die „complexio temperata“ gibt.
4) Phaidros, 268.