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Die Melancholie ' 21

Den Ärzten freilich mußte die Melancholie vornehmlich die
schreckhaft-bösartige Seite ihres Doppelantlitzes zeigen: für sie be-
deutete sie nichts als eine krankhafte Störung des normalen Körper- und
Seelenzustandes1), die man durch mehr oder minder drastische Mittel
bekämpfen mußte — in leichteren Fällen vor allemdurch eine bestimmte
Diät, die der kalt-trockenen Natur der schwarzen Galle entgegenwirkte,
durch Regelung der Verdauung', heitere Umgebung, gesunde Luft, und
dann in allererster Linie durch Musik2), die ja schon Saul, dem bibli-
schen Urbild aller Melancholiker (das griechische ist der rasende
Herkules) Erleichterung gewährt hatte.3). Selbst jenes tiefe Denken,

incidunt, in tuto ponitur per furorem sanctitas eorum sive bonitas, cum tempore
furoris peccare non possint ... — sive mali et iniusti sint, in hoc eis per furorem
consulitur, ut malitia eorundem eo tempore non augeatur . . . Debes autem scire,
cpia tempore meo multi fuerunt viri sanctissimi ac religiosissimi, quibus desi-
derio magno erat morbus melancholiae propter securitatem antedictam. Unde et
cum inter eos esset quidam melancholicus et statum eius non mediocriter af-
fectarent, aperte dicebant Deum inaestimabilem gratiam illi melancholico con-
tulisse . . .“

1) Statt aller anderen medizinischen Quellen des Mittelalters seien hier nur
des Constantinus Africanus ,,de melancholia libri duo“ angeführt, die — die Er-
kenntnisse der arabischen Medizin zusammenfassend und um eigene Beobachtungen
und Ratschläge vermehrend — fiir die spätere abendländische Gelehrsamkeit von
größter Bedeutung vvaren (Const. African. Opera, Basel 1536, p. 283 ff.). Danach
ist Melancholie ,,ein körperliches Leiden mit geistigen Begleit-
erscheinungen“ (accidentia), die ihrerseits bestehen in einem „timor de re non
timenda, cogitatio de re non cogitanda, certificatio rei terribilis et timorosae et
tamen non timendae, et sensus rei, quae non est“.

2) Nach Constantinus Africanus (a. a. O. p. 290ff.) werden zur Heilung
empfohlen: a) geistige Mittel, bestehend in angenehmen Gesprächen und Musik,
deren Wirkung durch leichten, blumigen Wein unterstützt werden soll („tollendo
quae in animam sunt plantata cum divei-sa musica et vino odorifero claro et sub-
tilissimo“), b) physische Mittel, bestehend in der zweckmäßigen Regelung fol-
gender sechs Dinge: „Luft, Speise, Trank, Schlaf und Wachen, Entleerung und
Zuriickhaltung, Ruhe und Bewegung“. Die Wohnung der Melancholiker soll
nach Osten gelegen und geöffnet sein; unter seinen Speisen verdienen — der
trockenen Natur der atra bilis gegenüber — die feuchten Dinge den Vorzug, vvie
frische Fische, Honig, sämtliche Früchte und unter den Fleischspeisen clas Fleisch
ganz junger, wenn möglich weiblicher Tiere, wie säugender Böcke, einjähriger
Lämmer, junger Hennen und weiblicher Rebhühner (Gemüse dagegen miissen der
Blähungen wegen vermieden werden); und vor allem soll vermittels dieser Diät
sowie durch frühmorgentliches Spazierengehen in heiteren trockenen Gegenden,
Massage mit „feuchtwarmen“ Salben und tägliche Eingiisse lauen (nur während
des Sommers auch kalten) Wassers seine Verdauung befördert werden: „Stu-
dium nostrum maxime adhibendum est indigestioni. Ordinatür dieta humida, quia
ille cibus facile digeritur, qui in substantia simplex est et humidus . . . Melancholici
assuescant ad pedum exercitia aliquantulum, apparente Aurora, per loca spatiosa
ac plana, arenosa. ac saporosa . . . Post exercitia infundantur aqua calida et dulci.“

3) Es ist ja keineswegs, wie man nach Giehlows Ausführungen vermuten
könnte, erst Marsiglio Ficino gewesen, der die Musik als Ileilmittel gegen die
Melancholie empfohlen hat; nur hat er besonderen Wert auf sie gelegt und sich,
 
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