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Panofsky, Erwin; Saxl, Fritz
Dürers "Melencolia I": eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung — Teubner, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.31125#0067
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46

Die Florentiney Renaissance

ein Feind derjenigen Menschen, die offen ein gemeines
Leben führen, oder zwar die Gemeinschaft des vulgären
Volkes fliehen, nicht aber die vulgären Empfindungen ab-
legen. Denn das gewöhnliche Leben hat er dem Jupiter
überlassen, das abgeschiedene und göttliche aber hat er sich
vorbehalten. Den wahrhaft vomDiesseits abgesonderten Menschen-
seelen, g'ewissermaßen seinen Angehörigen, ist er in irgendeiner Weise
befreundet. Denn den Geistern, die die erhabene Luft bewoh-
nen, ist gerade der Saturn, Platonisch zu reden, ein ,Jupiter‘ —
sowie der eigentliche Jupiter den Menschen, die ein Alltagsleben füh-
ren, ein ,juvans pater‘ ist. Am feindlichsten aber ist er denen, die ein
der Kontemplation geweihtes Leben nur vortäuschen, aber nicht führen.
Diese erkennt weder Saturn als die Seinen an, noch unterstützt sie Ju-
piter, der Zähmer des Saturn, weil sie die gewöhnlichen Gebräuche und
Sitten der Menschen verletzen .... Gegen den saturninischen Einfluß,
der den Menschen gemeinhin fremd und irgendwie inadäquat ist, be-
waffnet uns Jupiter, einmal durch seine natürliche Beschaffenheit, fer-
ner (sicherlich) durch seine Nahrungsmittel und Medikamente, und
(wie man g'laubt) auch durch figürliche Talismane, sodann aber durch
Sitten, Beschäftigungen, Studien und Dinge, die ihrer Eigenart nach
zu ihm gehören. Allein es entg'ehen dem unheilvollen Einfluß
des Saturn — und genießen seinen seg'ensreichen — nicht
nur diejenigen, die ihre Zuflucht zum Jupiter nehmen, sondern auch die,
die sich mit ganzer Seele der göttlichenKontemplation über-
lassen, die gerade durch Saturn bezeichnet wird.1)“ „vSaturn

i) D. v. tr. 111,22 (Op. p. 5Ö4ff.), Zitat im IV. Anhang. Eine Parallelstelle
bei Pico ist bereits von Karl Borinski (Die Rätsel Michelangelos,. 1908, p. 36)
herangezogen, jedoch mit einem etwas sonderbaren Ivommentar versehen worden:
,,Saturno . . . significativo della natura intellettuale ... fa li huomini contem-
plativi, Giove che e Panima del mondo . .. da loro principatf governi ..., perche
la vita attiva e circa le cose inferiori.“ Der Gedankengang, der die im Text ange-
führten Äußerungen Ficinos (111,22) einleitet, ist etwa der folgende: den Körper
setzen wir durch seine „Harmonie“, d. h. durch seine Haltung, Bewegung und
Gestalt alltäglich den Sonneneinflüssen aus — so auch den ,,Spiritus“ durch die
seine, d. h. durch die jevveils entsprechenden ,,imagines“, Medizinen, Geriiche, den
Einflüssen der anderen Gestirne, und diese Abstimmung des ,,Spiritus“ wirkt
ihrerseits zum einen zurück auf den Körper, zum andern weiter auf die
eigentliche Seele, „quatenus affectu ad spiritum inclinatur ac corpus“. Der schöne
Gedanke, daß der Saturn „die Seinen“ nicht verletze (im weiteren Verlauf noch
an den langlebigen Indern exemplifiziert, die nach den Arabern dem Saturn unter-
worfen sind), ist, seit jener großen Wandlung um die Mitte der siebziger Jahre,
für Ficinos Anschauung vom Verhältnis des Saturn zu den „geistigen Arbeits-
menschen“ durchaus bestimmend geworden. Vgl. etwa neben der zit. Stelle den
Brief an den Kardinal von Arragon (Opera p. 819, der Anfangssatz schon oben
p. 37, Anm. 2, zitiert): „Duo potissimum inter Planetas hominibus assidue pericula
 
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