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Panofsky, Erwin; Saxl, Fritz
Dürers "Melencolia I": eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung — Teubner, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.31125#0158
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Der Polyeder des Melancholiestichs 137

schen und perspektivischen Konstruktion derartiger Vielflächner eine
ihrer hauptsächlichsten Aufgaben erblickte.1)

Was die stereometrische Natur des Melancholie-Polyeders betrifft,
so hat man ihn zumeist als einen „abges'tumpften Rhomboeder“ auf-
gefaßt, d. h. als einen aus sechs Rhomben zusammengesetzten Körper,
der durch Absclineidung zweier gegenüberliegender Spitzen (und zwar
derjenigen, an denen die spitzen Winkel der Rhomben zusammen-
stoßen) in einen Achtflächner verwandelt worden ist. Andere Autoren
haben an einen abgeschnittenen Würfel gedacht, noch andere ganz
irrigerweise den zweifellos achtflächigen Körper als einen „Ikosaeder“
bezeichnet. — Da Dürers Melancholiestich perspektivisch recht sorg-
fältig konstruiert ist (der Augenpunkt liegt auf dem Meereshorizont,
ungefähr unter dem Buchstaben C des Wortes „Melencolia“, und deckt
sich genau mit dem auf der gegenseitigen Vorzeichnung D. 134 —
unserer Abb. 6 — angegebenen Augenpunkt), so ist die eigentliche
stereometrische Form des Polyeders mit leichter Mühe zu ermitteln.
Der verstorbene Prof. G. Niemann, einer der vorzüglichsten Kenner
auf diesem Gebiet, hatte auf Ansuchen Giehlows die Rekonstruktion
vorgenommen, und wir lassen sein Gutachten hier folgen:

„Der Körper ist ein Polyeder mit zwei abgestumpften Ecken, dem
Augenscheine nach eher ein Rhomboeder als ein Würfel. Er ist auf
eine der durch Abstumpfen der Ecken entstandenen, dreiseitigen
Flächen gestellt, so daß eine Diagonale des Körpers lotrecht steht.
Die obenstehende Figur 1 zeigt den Körper ergänzt.

Die lotrechte Achse ist d i k g1. Ziehen wir in den drei oberen
Flächen des Körpers die Diagonalen ac, ab und bc, so erhalten wir
ein horizontal liegendes, gleichseitiges Dreieck; perspektivischer
Fluchtpunkt der Seite ab ist H. Es ist der Hauptpunkt der Zeichnung
und Fluchtpunkt der seitlichen Gesimslinien des auf dem Bilde dar-
gestellten Hauses.

Der Fluchtpunkt der Linie ac liegt auf dem Stiche etwa 0.39 m
vom Hauptpunkte entfernt. Da der Winkel bac bekännt ist (=6o°), so
können wir die Augendistanz bestimmen, sie beträgt 0.225 m■

Die weitere perspektivische Untersuchung zeigt, daß der Punkt d
genau über der Mitte (1) des Dreieckes liegt; es zeigt sich ferner, daß
das aus der Lage der Punkte e und / sich ergebende Dreieck efh
gleichfalls genau gleichseitig ist und die Mitte desselben genau auf
der Achse d g1 liegt und daß ki=id ist.

Der Körper ist demnach perspektivisch richtig .gezeichnet bis auf
die Lage des Punktes g, welcher nach g1 gerückt werden muß; auch
1) Vgl. oben p. 66.
 
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