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Panofsky, Erwin; Saxl, Fritz
Dürers "Melencolia I": eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung — Teubner, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.31125#0175
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154 VII. Anhang. D. nachäürerischen Melancholiedarstellungen bis zum XVII. Jahrh.

Trauer der Dürerischen Melancholie hat durch das „Memento mori“
des Totenschädels gleichsam einen präzisen Inhalt bekommen: das,
was bei Dürer nur ein dunkler, kaum bewußter Zweifel gewesen war
— ob denn das menschliche Schaffen und Denken überhaupt irgend-
wie sinnvoll sei im Angesichte der Ewigkeit — das verdichtet sich
hier zu einer klar gestellten Frage, die mit einem entschlossenen und
unzweideutigen „Nein“ beantwortet wird. Aus der „Melancholie“ ist
eine biißende Magdalena geworden.1)

Hatte für Aristoteles der Wert der melancholischen Veranlagung
in einer Befähigung zu großen positiven Leistungen auf allen irnög-
lichen Schaffensgebieten bestanden — hatte das Mittelalter gerade um-
gekehrt den Segen des „morbus melancholicus“ hauptsächlich in einem
negativen und mehr moralischen als praktischen Gut (im Schutz vor
irdischen Versuchungen) erblickt — und hatte sich in der Renaissance,
und insbesondere bei Dürer, die Wertung menschlicher Schöpferkraft
mit der Sehnsucht nach religiöser Befriedigung zu einer erst hier ver-
wirklichten und möglichen Einheit verbunden: so greift die Auf-
fassung des italienischen Barock von Neuem auf die des Mittelalters
zuriick, nur daß sie sie vom Metaphysischen ins Psychologisch-Affek-
tive umbiegt. Und was aus den Gemälden Domenico Fetis nur mittels
einer, allerdings kaum zweifelhaften, Interpretation des anschaulich
Gegebenen herauszulesen ist, das findet in der etwa ein Menschen-
alter später entstandenen, zugleich an Feti und an Dürer anknüp-
fenden Radierung Giov. Benedetto Castigliones (x\bb. 68)
auch einen literarischen Ausdruck: „Ubi inletabilitas, ibi virtus“, so
lautet ihre Legende, — „wo Schwermut ist, da ist auch Tugend.“

i) Tatsächlich ist das Pariser Exemplar der Feti-Composition im XVII. Jahrhun-
dert als „Magdalena“ inventarisiert worden, und erst das XVIII. hat ihm (ob in
Erkenntnis des Zusannnenhanges mit Dürer?) den Namen „Melancholie“ gegeben:
selbst heute weiß man nicht genau, nach welcher Richtung Fetis eigene Absicht ging
(vgl. M. Endres-Soltmann, Domenico Fetti, Diss. München 1914, p. 28 f.). Herrn Dr.
Ludwig Münz, der die Verfasser auf die Radierung Castigliones aufmerksam gemacht
hat, sei auch an dieser Stelle bestens gedankt.
 
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