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VIII

V orwort

wenn ein Ikonograph sich vor bestimmte Textprobleme geführt sieht,
wird er nicht immer erwarten dürfen, gerade diese — vom Standpunkte
des Philologen oder Literarhistorikers oft gar nicht sichtbaren — Pro-
bleme bereits in vollem Umfang gelöst zu finden, sondern er wird, so gut
es geht, sich selber weiterhelfen müssen.

Man begegnet noch immer dem Zweifel, ob ikonographische Unter-
suchungen zur eigentlichen „Kunstgeschichte“ gehören, oder (was wich-
tiger ist) ob sie für das Verständnis von Kunstwerken von irgend-
welchem Belang seien. Man wird erwidern müssen, daß eine Absonde-
rung der „Form“ vom „Inhalt“ — weit entfernt, das „Künstlerische“
von den Schlacken des angeblich Nicht-Künstlerischen zu befreien —
vielmehr eine tatsächlich gegebene Einheit sub specie einer rein dia-
lektischen Disjunktion zerreißen würde, und daß sie im Grunde über-
haupt nicht durchführbar ist; denn in Wahrheit kann selbst die „forma-
listischste“ Kunstwissenschaft gar nicht umhin, in ganz erheblichem Um-
fang „Inhaltsexegese“ zu treiben oder, was methodologisch dasselbe be-
deutet, vorauszusetzen.

Ganz streng genommen, gehören ja schon Aussagen wie die, daß ein
bestimmtes Kunstwerk einen Menschen oder ein Tier, einen Mann oder
eine Frau, eine „figura serpentinata“ oder eine ruhige Standfigur, einen
Zornigen oder einen Ergriffenen darstelle, nicht mehr in den Bereich der
„reinen“ Formanalyse, die sich — wenn mit dem Begriffe völliger Ernst
gemacht würde — durchaus auf die Betrachtung dessen beschränken
müßte, was Linien, Flächen und Farben als Träger reiner Kompositions-
werte bedeuten. Aber die Aussagen der vorbezeichneten Art sind immer-
hin der „reinen Form“ in einer ganz anderen Weise verbunden als „iko-
nographische“ Feststellungen: sie ergeben sich aus einer „unmittelbaren“
Anschauung des Kunstwerks, d. h. sie setzen neben dem sinnlichen
Eindruck der sichtbaren Linien, Flächen und Farben nur
solche Erkenntnisse und Erlebnisse voraus, die jedem Menschen als Be-
standteile seiner vitalen Ich-Erfahrung ohne weiteres gegeben sind,
und wir können den Inbegriff dessen, worauf sie sich beziehen, als eine
„primäre” Gegenstandsschicht bezeichnen. „Ikonographische“ Fest-
stellungen dagegen beziehen sich, wenn man so will, auf eine „sekun-
däre” Gegenstandsschicht, d. h. sie setzen neben dem sinnlichen Ein-
druck der Linien, Flächen und Farben und neben den Gegebenheiten der
„Ich-Erfahrung“ noch etwas bildungsmäßig „Hinzugewußtes“
voraus: wer nie etwas vom Inhalt der Evangelien gehört hat, kann in
Lionardos „Abendmahl“ nur die Darstellung einer Tischgesellschaft er-
 
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