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Vorwort

IX

blicken, die sich — dem Beutel nach zu schließen — wegen einer Geld-
angelegenheit veruneinigt hat, und deren aufgeregte Gestikulation zu der
ruhigen Würde des Gastgebers (oder Ehrengastes) in einem sonderbaren
Gegensatz steht; und man braucht nur die schönen Worte zu lesen, die
Heinrich Wölfflin gerade diesem Abendmahle gewidmet hat, um einzu-
sehen, wie unentbehrlich auch für seine grundsätzlich aufs ,,Formale' ‘
eingestellte Analyse die Kenntnis eben jener „sekundären“ Gegenstands-
schicht gewesen ist, der der Begriff der biblischen „ultima cena“ zweifel-
los angehört, und um zu erleben, wie erst ein recht eigentlich „ikono-
graphischer“ Vergleich mit früheren Gestaltungen des „Themas“ die stil-
geschichtliche Bedeutung der Lionardesken Lösung in letzter Klarheit
hervortreten läßt. In der Tat dürfte es niemanden geben, der leugnen
würde, daß es nicht zwar für die Bewertung, wohl aber für das Verständ-
nis eines Kunstwerks grundwesentlich ist, ob es einen Christus oder einen
Apollo darstellt, — gerade auch dann, wenn etwa der Christus im „Ty-
pus“ eines Apollo erscheint. Die Frage „Abendmahl oder Genreszene“ ?,
„Christus oder Apollo“? pflegt vielmehr auch von „Kunsthistorikern
im engeren Sinn“ entweder ausdrücklich als wesentlich anerkannt oder
zum mindesten stillschweigend als wesentlich vorausgesetzt zu werden,
und die Zweifel und Widerstände regen sich im allgemeinen erst da, wo
es sich um „verzwickte Allegorien“ oder „abstruse Symbolik“ handelt.

Allein wo soll man hier, d. h. innerhalb der „sekundären“ Gegen-
standsschicht, die Grenzen ziehen ? Es gibt ohne Zweifel Kunstepochen,
die sich grundsätzlich auf eine Veranschaulichung der „primären“
Gegenstandsschicht beschränkt haben, und deren Hervorbringungen da-
her einer inhaltsexegetischen Deutung weder bedürftig noch fähig sind
(wie es denn sicher verfehlt wäre, die „Pfirsiche“ Renoirs als eine Wahr-
heitsallegorie zu interpretieren, weil der Pfirsich in der hieroglyphisch-
ikonographischen Literatur der Renaissance als ein Symbol des „Herzens“
gedeutet und deshalb als Attribut der „Veritas“ empfohlen wurde). Es
gibt aber auch Kunstepochen — und von den „historischen“ sind es die
meisten —, die mehr oder weniger tief in die Region der „sekundären“
Gegenstandsschicht hinabsteigen; und angesichts ihrer Hervorbringun-
gen bedeutet es unhistorische Grenzverwischung, wenn man ihnen die
inhaltsmäßigen Aussageabsichten ohne weiteres streitig macht (indem
man etwa sagt: „der Künstler hat sich gar nichts weiter dabei gedacht,
sondern nur einen schönen Akt darstellen wollen“), und unhistorische
Eigenmächtigkeit, wenn man, von den Voraussetzungen der eigenen
Gegenwart aus, zwischen „wesentlichen“ und „unwesentlichen“ (weil uns
„gesucht“ oder gar „absurd“ erscheinenden) Inhalten zu unterscheiden
sich anmaßt. Die biblischen Gegenstände erscheinen auch dem modernen
 
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