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Hercules Prodicius

hafter Einzeldarstellung wiederholenden Schnitten (Abb. 31 und 32)
eigens für die lateinische Ausgabe hergestellt worden war, während man
sich im übrigen damit begnügt hatte, die Druckstöcke der deutschen Erst-
ausgabe von 1494 neu abzuziehen.1) Teils in ihrer ursprünglichen Ver-
einigung, teils aber auch voneinander getrennt, sind diese drei Darstel-
lungen in die Nachdrucke und Neubearbeitungen der Brant-Locherschen
,,Navis“ sowie in deren neusprachliche Übersetzungen eingegangen, wo-
bei die älteren Basler Drucke die Originalstöcke benutzen konnten2),
während die zahlreichen auswärtigen mit mehr oder minder gelungenen
Nachschnitten oder Kopien ausgestattet wurden. Einige dieser Kopien, die
qualitativ den Originalen zum Teil überlegen sind, sind Spiegel verkehrt
(Abb. 36); und wenn wir annehmen, daß Raffael die Concertatio-Dar-
stellung in einem solchen gegensinnigen (und stilistisch ein wenig „mo-
derneren“) Nachschnitt vor Augen hatte, so wird uns die Vermutung, daß
eben sie dem „Traum des Ritters“ zum Vorbild gedient habe, vielleicht
noch um einen Grad einleuchtender erscheinen.

*

Was haben wir nun aus diesem Zusammenhang des Raffaelischen
Bildes mit einem nordischen Holzschnitt (mit dem es übrigens auch das
genau quadratische Format gemeinsam hat) in ikonographischer Hin-
sicht zu folgern? Der kleine Aufsatz des Entdeckers — schlechthin ent-
zückend in seiner geistreich-naiven Frivolität — spricht sich für einen
Sieg der „Voluptas“ aus. Angesichts des Holzschnittes erscheint ihm die
Niederlage der „Virtus“ von vornherein gewiß: „vieille naturellement,
embeguinee, armee d’une quenouille“, hat sie den verführerischen Reizen
ihrer Gegnerin nur eine lange Rede entgegenzusetzen, in der sie beweist,
daß die Wollust zum Unglück führe und daß alle weisen Männer der
Tugend gehuldigt hätten („ce qui n'est pas beaucoup dire“); und wenn
die „Voluptas“ des Raffaelbildes so bescheiden auf trete, daß man in die-
sem Fall um ihren Erfolg ein wenig besorgt werden könnte („eile est char-
mante mais habillee, et eile n’offre qu’une fleur“), so werde sie doch
auch hier die Siegerin bleiben, „car le jeune Chevalier ne dormait
qu’ä demi“.

1) Über die verschiedenen Editionen, Bearbeitungen und Übersetzungen des Narren-
schiffs vgl. immer noch die Ausgabe von Fr. Zamcke, 1854, S. LXXIX und S. 205ff.;
ferner Charles Schmidt, Histoire litteraire de l’Alsace ä la fin du 15. et au commencement
du 16. siede, 1879, II, S. 342ff.

2) So in der zweiten Ausgabe vom 1. August 1497 (H. 3750) und in der dritten vom
Jahre 1498. Über die Nachdrucke von Georg Stuchs, Nürnberg 1497 (?) (H. 3747, Voul-
lieme 1909/10), Grüninger (Straßburg 1497, H. 3749), Schönsperger (Augsburg 1497,
H. 3748) und Henricpetri (Basel 1572) vgl. unten S. 101.
 
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