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Hercules Prodicius

rung zu informieren, sondern ihm auch zugleich jenes Narrenschiffs-
exemplar in die Hand zu drücken, dessen Bilder, so „gotisch" sie waren,
doch für das exzeptionelle Thema eine brauchbare Kompositionsgrund-
lage abgeben konnten. Der gepanzerte Jüngling des deutschen Holz-
schnitts mußte einem italienischen Auge ohnehin mehr als Ritter, denn
als Hercules erscheinen — er brauchte nur „antikisiert“ zu werden, um
sich in einen Scipio zu verwandeln; und daß der Besteller in derart außer-
gewöhnlichen Fällen dem Künstler anregend und helfend zur Seite stand,
ist uns durch mehr als eine Nachricht beglaubigt.1)

Auf diese Weise beantwortet sich nicht nur die Frage, auf welche
Art Raffael an den Narrenschiffsholzschnitt herangekommen sei, sondern
es löst sich auch die Schwierigkeit, daß sein jugendlicher Krieger für
einen „Hercules all’antica“ zu unmythologisch, und für einen „Hercules
alla francese“ zu antikisch erschien: es handelt sich eben gar nicht um
einen Hercules, sondern um einen jungen Scipio „am Scheidewege“, und
dieser hat zugleich das Recht auf ritterliche und die Pflicht zu antikischer
Erscheinung. Antikisch aber ist diese Erscheinung unter Raffaels Händen
nicht nur in einzelnen Äußerlichkeiten geworden — in der Lorica, dem
Panzer, dem römischen Helm und dem großen, gebogenen Schild —
sondern vor allem auch im Bewegungsmotiv. Dies hingegossene Schlafen
mit halb aufgerichtetem Körper und blumenhaft niedersinkendem Haupt,
SieaTpagpivoup tou<; 7to8a<;2) und die Hand des dem Kopfe untergelegten
Armes in wunderbarer Gelöstheit hängend: es ist kaum denkbar ohne
den Eindruck eines ruhenden Flußgottes oder, wahrscheinlicher, eines
träumenden Endymion, nur daß die ganze Form in eine zarte Lebensfülle
eingetaucht ist, die eben nur dem jugendlichen Raffael eignet.

Aber nicht nur die Gestalt des jungen Scipio findet in diesem eigen-
tümlichen Zusammenwirken der Silianischen Originaldichtung (und ihrer
Locherschen Paraphrase) mit dem Eindruck des deutschen Holzschnitts
ihre Erklärung: fast überall, wo Raffaels Auffassung sich zu den Angaben
des Holzschnitts in Gegensatz stellt, entspricht sie den Texten.

Erstens: das Motiv des Lorbeerbaumes, unter den Raffael die
visionäre Szene verlegt hat. Es ist gewiß sehr möglich, daß er damit auf
den Sieg der Tugend und dessen ruhmreiche Folgen vorandeuten wollte,
aber die unmittelbare Anregung bot zweifellos das „Has lauri residens
iuvenis viridante sub umbra“ des Silius-Textes3), nur daß natürlich (hier

1) Vg], die unten S. 115 zitierte Vasaristelle, in der es von einem in unseren Themen-
kreis gehörigen Bilde ausdrücklich heißt, daß es „secondo l’invenzione'' des Bestellers
gemalt worden sei.

2) Vgl. Pausanias, IIspL7)Y7)ai<; V, 18, 1; Lessing „Wie die Alten den Tod gebildet".

3) Silius 1. c., Vers 18, vgl. auch Vers 100 und 119.
 
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