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Das Herculesspiel des ,,Arvianotor". Bildmäßigkeit und Bühnenmäßigkeit

Man hat — begreiflicherweise — den textlichen Teil dieses sonder-
baren Opus nur insoweit einer eingehenderen Beachtung gewürdigt, als
er für die Erklärung der drei Vischer-Zeichnungen von unmittelbarer Be-
deutung ist, und die entsprechenden Abschnitte als wirkliche Kompo-
sitionsanweisungen auf gef aßt, die Schwenter eigens für seinen Freund
Vischer verfaßt hätte.1) Dem steht nun aber der Umstand entgegen, daß
die „Bildbeschreibungen“ in merkwürdig geringem Maße auf die Bedürf-
nisse des Illustrators Rücksicht nehmen, und daß eine Anzahl von ihnen
überhaupt nicht zur Illustrierung bestimmt war: wenn es sich wirklich
nur um Kompositionsanweisungen für Peter Vischer gehandelt hätte,
warum sind dann die Angaben, die der Zeichnung Abb. 42 zugrunde-
liegen, auf drei verschiedene „Bildbeschreibungen“ (II, III und IV) ver-
zettelt, und warum erscheint die Traum-Szene mit „Somnus“ und den
drei Parzen so völlig verselbständigt, daß auf der Zeichnung Abb. 41
nur Hercules, aber nicht „Virtus“ und „Voluptas“, auf der Zeichnung
Abb. 42 dagegen nur „Virtus“ und „Voluptas“, aber nicht Hercules ge-
zeigt werden konnten, wodurch das eigentliche Entscheidungs-Motiv
bildkünstlerisch gar nicht zur Anschauung kommt ? Wie erklärt sich die
Tatsache, daß „Bildbeschreibung III“ unmittelbar zu dem anschlies-
senden Gesang der „Wollust“ überleitet („mit diesen Worten fingen
sie an“) ? Und wie kommt es schließlich, daß Schwenter für die „Bild-
beschreibungen VI und VIII“ (den Parnassischen Musenhof und das
Todes-Schach), und namentlich für die so eindrucksvolle und ausführ-
liche „Bildbeschreibung V“ (den Aufstieg des Hercules an der Spitze
seiner „erstrittnen Wunder“), gar keinen Illustrationsraum freiließ und
sich demnach mit diesen drei Schilderungen eine ganz überflüssige Mühe
gemacht hätte ?

Diese Schwierigkeiten heben sich leicht, sobald man sich klar macht,
daß die eigentümliche Zerzupfung der Aktion in Einzelszenen, die den
Bedürfnissen des Zeichners oder Malers so wenig entgegenkommt, in um
so höherem Grade den Anforderungen einer Bühnendarstellung ent-
spricht, die ja gerade das zu erstreben hatte, was der Illustrator vermeiden
mußte: die Verwandlung der simultanen Gesamtaktion in eine
Folge möglichst vieler sukzessiver Teilereignisse. So aufgefaßt,
wären also die „Bildbeschreibungen“ gar nicht als Kompositionsanwei-
sungen für einen bildenden Künstler, sondern als Regieanweisungen
für eine Theateraufführung anzusehen, — womit die vorhin auf-
geworfene Frage, ob sie als Schwentersche Zutaten oder als integrierende
Bestandteile des „Arvianotor“-Textes anzusprechen seien, sich ohne wei-

x) So mit besonderem Nachdruck Lenz, a. a. O.
 
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