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Paolo Veronese. Jan Saenredam 119

berührt. Man wird vermuten dürfen, daß das Gemälde ein Firmungs-
bild ist, — bestimmt, den Eindruck einer feierlichen Handlung festzu-
halten, die einer Erweckung zu ethisch-religiöser Selbstverantwortlich-
keit gleichkommen sollte, und die die katholische Kirche bekanntlich
an viel jüngeren Kindern vollzog und vollzieht als das Judentum und
der Protestantismus1); und es stimmt gut zu dieser Vermutung, wenn eine
zweite, ebenfalls aus Veroneses Werkstatt hervorgegangene
Entscheidungsdarstellung2) den gleichen Bildgedanken dahin abge-
wandelt hat, daß der in diesem Falle voll erwachsene Jüngling — auch
er kein Hercules, sondern eine Porträtfigur in weißseidener Zeittracht —
nicht willenlos und gottergeben von der „Virtus“ davongeführt wird,
sondern sich ihr aus eigenem, wenn auch vielleicht ein wenig ängstlichem
Entschluß in die Arme wirft (Abb. 59).

Der Komposition des Sustris verwandter sind zwei andere nieder-
ländische Darstellungen vom Ende des 16. Jahrhunderts, die aber, von
anderen Unterschieden abgesehen, ihr gegenüber das Eine gemeinsam
haben, daß sie dem Thema einen ausgesprochen christlich-moralisierenden
Charakter verleihen. Die nur in einem anonymen Kupferstich überlieferte
Darstellung Jan Saenredams3) zeigt uns den jungen Hercules, in dessen
Gestalt sich antike und michelangeleske Motive zu einer echt manieristi-
schen Einheit zusammenfinden4), zwischen einer Minerva-artig gerüsteten,
stehenden „Virtus“ und einer als anmutige Straßenräuberin im Hinterhalte
kauernden,, Voluptas“, die ihm mit List die Keule wegzunehmen sucht, und
deren katzenhaft geschmeidiger Umriß von den Konturen eines Erdhügels
und eines Baumes nicht nur begleitet wird, sondern mit ihnen geradezu zu-
sammenzufließen scheint (Abb. 60). Die Scheideweg-Idee ist aber nicht,
wie sonst, unmittelbar durch die Gestaltung der Hintergrundslandschaft

1) Nach Catech. Roman. II, 3, § 17 ist das früheste normale Firmungsjahr das
vollendete siebente. Selbst dieser in der Regel natürlich überschrittene Termin kann also
ausnahmsweise unterschritten werden.

2) Das von Caliari a. a. O., S. 400 erwähnte Bild — jetzt im Vorrat des kunsthist. Mus.
zu Wien — wird schon im 17. Jahrh. als Kopie nach Veronese erwähnt (vgl. Jahrb. A. K. H.
I, 1883, S. CXIV); eine Replik dieses Bildes befindet sich nach A. Venturi, Paolo Veronese,
1928, S. 213 in der Slg. Frick in Newyork. Die beiden Frauen sind sehr ähnlich aufgefaßt
wfe in dem Pradogemälde, nur daß die „Tugend" nicht barfuß, sondern, was wiederum
dem mannbaren Alter des Wählenden entspricht, in Militärstiefeln auftritt.

3) B. III, S. 259, Nr. 2. Die der,,Voluptas“ beigegebene Mausefalle, ein sonderbares, aber
mit ihrem sprungbereit lauernden Wesen nicht schlecht zusammenpassendes Attribut, findet
in der in einigen Ausdrücken an Silius Italicus anklingenden Unterschrift ihre Erklärung:

„Alcidae assistunt Virtus et nuda Voluptas
Pollicet in luxum haec, spondet at illa decus.

Acclivo tuto iactat Dea colle penates
Altera delitias insidiosa suas.“

4) Antik die Beinstellung; michelangelesk das Kontrapostmotiv des Oberkörpers
und die Gesichtsbildung (vgl. Jesaias und Ignudo links über der Persica).
 
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