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Hercules Prodicius

zum Ausdruck gebracht (diese ist vielmehr vergleichsweise neutral be-
handelt, nur daß auf Seiten der „Virtus“ proleptischerweise das Löwen-
abenteuer dargestellt ist), sondern die beiden Frauen führen Bildtafeln
bei sich, die die dem Hercules zur Wahl gestellten Lebensführungen in
effigie anschaulich machen. Im Astwerk des „Voluptas“-Baumes ruht die
Darstellung eines üppigen Gelages inter Bacchum et Venerem — die
„Virtus“ aber hält gleichsam ein Freiluft-Kolleg über ein Gemälde, auf
dem das steile Felsgebirg der Tugend geschildert ist: die sterblichen
Menschen klimmen mühsam empor, auf dem Gipfel aber hausen die Kar-
dinaltugenden, von denen „Fortitudo“ (mit Säule) „Justitia“ (mit
Wage), „Temperantia“ (mit Mischgefäß) und „Caritas“ (mit vielen
Kindern) deutlich erkennbar sind.

Dieses Motiv der Kardinaltugenden — freilich nur dieses Motiv —
verbindet die Darstellung Saenredams mit einem Kupferstiche des Jan
Wierx nach Crispin van den Broeck1) (Abb. 61). In seinem for-
malen Gesamtaufbau hält dieser Stich sich enger an das Philostratische
Schema, nur daß der jedes mythologischen Attributes ermangelnde, aber
durch Beischrift gekennzeichnete Hercules, bildeinwärts gekehrt ist,
was beides den Beschauer dazu auffordert, sich selber mit dem Wäh-
lenden zu identifizieren.2) Die sonst in der Regel als „Virtus“ bezeich-
nete, ältlich-gestrenge Vertreterin des Tugendprinzipes wird aber diesmal
unüblicherweise „Labor“ genannt, während die eigentliche „Viertus“
(sic), gleich ihrem Adler hoch in Wolken schwebend, in einem Ringkampf
mit der Fortuna begriffen ist: der alte Zweikampf zwischen ’Apevr) und
Tu^-3) F>er Weg, den die Personifikation des „Labor“ weist, führt über
rauhe Felsen zum Ruhmes- oder Ewigkeitstempel, der hier durch eine
Spitzpyramide eine besonders prägnante bildersprachliche Kennzeich-
nung erfährt4), und der Aufstieg der Emporklimmenden wird — offenbar
in Erinnerung an Michelangelos Jüngstes Gericht — von den vier philo-
sophischen Tugenden „Fortitudo“, „Temperantia“, „Justitia“ und „Pru-
dentia“ befördert, während auf dem Plateau des Berges „Spes“ und

1) Nagler, Künstlerlex., J. Wierx, Nr. 81. L. Alvin, Catal. rais. de l’oeuvre des trois
freres ... Wierix, 1866, Nr. 1426. Das Monogramm des Crispin van den Broeck wurde bis-
her anscheinend übersehen; die Wierx haben sehr oft nach diesem Künstler gestochen.

2) Insofern erinnert das Blatt an Heinrich Niclaes' ,,Abbildung der zweyerley
Wege", in der nicht Hercules, sondern der (durch einen nackten Knaben vertretene)
„Inwendige Mensche" selbst die Entscheidung vollzieht (vgl. Fr. Nippold in Zeitschrift
für die historische Theologie, 1862, S. 532), ja an die unten S. I55ff. behandelten Ent-
scheidungsallegorien des Mittelalters.

3) Vgl. oben S. 57 und 84, unten S. 164h

4) Die Pyramide ist Symbol der Ewigkeit und insbesondere des ewigen Nachruhms,
daher sie seit Raffael (Chigikapelle in S. Maria del Popolo, vgl. D. Gnoli, Arch. Stör, dell’
Arte II, 1889, S. 3i7ff.) unendlich oft für Grabdenkmäler verwandt ward. Vgl. insbeson-
dere die lange Erörterung bei Ripa s. v. „Gloria dei principi“ mit Abbildung.
 
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