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Hercules Prodicius

die Hesperidenäpfel in die Hand zu geben.1) Die späteste Antike aber, der
die ganze sichtbare Welt zum Gleichnis geworden war, hat diese mythisch,
ja magisch reale Bedeutung der Hesperidenäpfel bereits allegoristisch
zersetzt (bei Fulgentius2) bezeichnen sie z. B. den ,,ornatus aureus
studii“); und das Mittelalter vollends, das — die mythologischen Ge-
stalten zugleich als solche verlästernd und als Objekte moralischer Aus-
legung hochschätzend3) — den Hercules nicht nur als fleischgewordne
Virtus, sondern u. a. als präfigurierten Erlöser, als Vorbild des ,,Bonus
Praelatus“, ja als Beispiel des „Guten Schülers“ gedeutet hat und
seine Taten dementsprechend auszulegen wußte4), hat sie als Symbole
der „goldenen Weisheit“ interpretiert, die die drei Töchter des Atlas
als Personifikationen der — drei Gehirnzellen zu behüten haben.5)
Allein schon der „Libellus de Imaginibus Deorum“—und da die
kleine Schrift um 1400 und möglicherweise in Italien entstanden ist,
mag man darin ein Vorzeichen der Renaissancestimmung erblicken —
hat diese „scholastischen“ Deutungen teils wesentlich vereinfacht,
teils sogar ganz abgestoßen.6) Von dem Hesperidenabenteuer heißt

1) Vgl. Furtwängler in Roschers Lex. s. v. „Hercules". Über die Deutung dieses
Typus in der Renaissance vgl. unten S. 149.

2) Fulgentius, Expos. Virgil. Continent. 755, Helm S. 97.

3) Der Oxforder Theologe Robert Holcot (vgl. Liebeschütz a. a. O., S. 39), einer
der eifrigsten Antiken-Moralisatoren, identifiziert sich z. B. unbedenklich mit der oben
S. 76 angeführten Anti-Hercules-Polemik des Lactantius, die er wörtlich zitiert; Olchott,
Moralitates, fol. A 5 v der Pariser Ausg. von 1515.

4) Berchorius 1. c. und öfter.

5) Berchorius, 1. c. (zur Kontrolle wurde der Cod. Gothanus membr. I, 98, fol. 44 v ff.
herangezogen). Atlas ist ein „summus astrologus", dessen Ersetzung durch Hercules be-
deutet, daß er diesen durch vortrefflichenünterricht zum zweitbesten Sternkundigen machte;
insofern ist Atlas ein Exemplum des „bonus doctor", und Hercules ein Exemplum des
,,bonus discipulus", ,,quia bono doctore sapientiam addiscit itaque post ipsum ad cathe-
dram sublimatur". „Poma etiam aurea, id est auream sapientiam, dicitur habuisse, quam
custodierunt tres filiae, id est tres cerebri cellulae". Die Deutung des Atlas als Astrologe
stammt schon aus Servius a. a. O. und ist von dort in den Mythogr. III, 13, 4 (Bode,
S. 248) übergegangen. Über die mittelalterliche Lehre von den 3 Gehirnzellen vgl. W. Sud-
hoff, Arch. f. Gesch. d. Med. VII, 1913, S. I49ff.

6) Im allgemeinen ist nach Liebeschütz (vgl. oben S. 13) der ,,Libellus"-Text durch
geringfügige Abänderung und „Entmoralisierung“ des Berchoriustextes entstanden und
verzichtet daher durchweg auf allegorische Deutung der mitgeteilten Gegenstände. Nur
gerade der Abschnitt, der die 12 ausdrücklich numerierten Herculestaten aufzählt
(Liebeschütz S. I24ff.), macht hierin eine Ausnahme und überrascht auch dadurch, daß
eine Bildbeschreibung des Hercules selber fehlt, obgleich sie bei Berchorius vorhanden ist
(fol. 14 r des Pariser Druckes, fol. 8 v des Cod. Goth.). Der Sachverhalt, der diese Sonder-
stellung begründet, ist etwas kompliziert. Der kanonische Dodekathlos des Altertums
scheint für das Mittelalter ziemlich bedeutungslos geworden zu sein; ja nicht einmal die
Zwölfzahl als solche wird von den mittelalterlichen Mythographen erwähnt: der Mytho-
graphus III nennt ohne Zahlangabe 10 Herculestaten, Berchorius folgt lediglich den Er-
wähnungen im 9. Buch der Metamorphosen, Boccaccio (Geneal. Deor. XIII, 1) zählt nicht
 
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