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i75

Exkurs I. Zur Deutung von Tizians ,,Himmlischer und Irdischer Liebe“

pianta.)1), und wenn die Landschaft auf der linken Seite ein welt-
liches Schloß und ein an sehr sichtbarer Stelle untergebrachtes Hasen-
oder Kaninchenpaar zeigt („Geschöpfe aus dem Tierpark der Venus“,
wie Gustav Pauli einmal diese Species sehr hübsch bezeichnet hat)2),
während wir zur Rechten ein Kirchdorf und eine Herde frommer
Schafe erblicken. Und dieser Auffassung entspricht schließlich auch das,
was uns die ikonologische Literatur des 16. Jahrhunderts über die Be-
deutung der Nacktheit als solcher lehrt. Die Nacktheit, wo sie sich
nicht einfach aus der Situation ergibt, sondern als Trägerin eines be-
stimmten bildersprachlichen Gehaltes gedacht
wird, erscheint von vornherein als etwas Dop-
peldeutiges: nackt ist die Venus Anadyo-
mene, aber auch die „Veritas“; nackt ist die
Hure, aber auch der Gymnosophist und die
büßende Magdalena. Im Mittelalter war zwar
die positive Bedeutung der Nacktheit durch-
aus nicht vergessen worden (vergleiche die be-
kannte Interpretation der Rossebändiger auf
Montecavallo als zweier junger Philosophen, die
nackend sind, weil ihnen alle Dinge bloß und un-
verhüllt vor Augen liegen und weil sie die Güter
der Welt für nichts achten)3), aber sie war doch,
vorzüglich im Norden, der negativen gegenüber
ziemlich in den Hintergrund getreten. Für das Jahr 1351 ist eine
,,nuda Veritas“, wie die in Textabb.6 reproduzierte Miniatur4) sie darstellt,
eine immerhin recht auffallende Erscheinung; und wo wir gar, wie in dem

1) Ripa, s. v. „Piacere“. Bereits im Mythograph. III, ix, i (Bode S. 229) heißt es
von Venus: ,,Myrtus ei deputatur, vel quod haec arbor litoribus gaudet.... vel quod
salso mari vicina est. . ., vel quod . . . haec arbor plurimis mulierum necessitatibus apta
est“ (danach Boccaccio, Geneal. Deor. III, 22).

2) Vorträge der Bibi. Warburg, 1921/22, S. 58. Eine lange Erörterung der Hasen-
symbolik bei Ripa, s. v. ,,Venustä": er polemisiert gegen die Verwendung des Hasen als
Symbol der Schönheit und den zugrundeliegenden antiken Aberglauben, daß der Genuß
von Hasenfleisch 7 Tage lang schön mache; der Hase gehöre zwar zur Venus, aber nicht
„perche nella lepre sia simbolo di Venustä, ma perche e animale fecondo, Venereo“.

3) Mirabilia Urbis Romae, zitiert u. a. in Adolph Goldschmidts Vortrag über die
Antike im Mittelalter, Vorträge d. Bibi. Warburg, 1921/22, S. 43.

4) Cod. Pal. lat. 1993, fol. 26. Die Kenntnis der von einem an der Kurie zu
Avignon tätigen Kleriker gezeichneten Miniatur wird Herrn Prof. R. Salomon verdankt,
der mit der Edition des Codex beschäftigt ist, und dem wir auch für die Überlassung der
Abbildungsvorlage sehr verbunden sind. In späteren Zeiten ist die nackte „Wahrheit“ na-
türlich überaus häufig, vor allem seitdem L. B. Alberti die allgemeine Aufmerksamkeit
auf die „Verleumdung des Apelles“ gelenkt hatte. Als relativ frühes deutsches Beispiel
vgl. etwa den Holzschnitt zu Maffeus Vegius, Philalethes (Nürnberg, Regiomontanus, 1474,
Abb. bei E. P. Goldschmidt-London, Catalogue XVI, Plate X).
 
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