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178

Hercules Prodicius

Nun wäre es gewiß gewagt, auf Grund dieser detailüberlasteten Bild-
beschreibung den Sinn der Tizianischen Frauengestalten auf die Begriffe
„Felicitä Eterna“ und „Felicitä Breve“ festlegen — und einengen — zu
wollen. Aber sie zeigt jedenfalls soviel, daß wir mit unserer Interpretation
auf einem richtigen Wege sind. „Felicitä Eterna“ und „Felicitä Breve“,
„Beltä disornata“ und „Beltä ornata“, und schließlich auch „Amor
celeste e mondano“: allen diesen Bezeichnungen liegt die Vorstellung
eines Gegensatzes zugrunde, der — im ersten Fall moralisch, im zweiten
ästhetisch, im dritten erotisch gefaßt — doch überall auf einen Wett-
streit zwischen platonisierend-idealistischer und epikureisch-
hedonistischer Lebens- und Weltanschauung hinausläuft, und dessen
positiveSeitein allen F ällen durch die nackte, das Prinzip der Reinheit,
Wahrheit und Immaterialität bezeichnende Gestalt symbolisiert wird.1)

Auch Tizians „Himmlische und Irdische Liebe“, schon durch die
Mittelzäsur als eine „Disceptatio“ gekennzeichnet, läßt sich mithin nur
aus der Tradition der Synkrisis-Darstellungen begreifen, in deren
Kreis sie sich, sowohl formal als inhaltlich betrachtet, mit einer gewissen
Selbstverständlichkeit einordnet; ja man würde sie geradezu im Sinn des
alten Streitgespräches zwischen „Virtus“ und „Voluptas“ — nur ohne
Hercules — interpretieren dürfen, wenn nicht der etwas primitive Gegen-
satz, zugleich verfeinert und bereichert, in die Sphäre einer viel freieren,
nicht sowohl humanistischen, als tief humanen Anschauung empor-
gehoben erschiene. Die innere Überlegenheit, die der nackten Gestalt —
als der Vertreterin des edleren Prinzips — in dieser Darstellung eignet,
und die in der aufrechteren und schwebenderen Haltung ihres Körpers
und in dem dadurch bedingten Niederblicken des gesenkten Hauptes einen
so anschaulichen Ausdruck findet, ist viel zu groß, als daß die beiden im
banalen Wortsinn „streiten“ müßten. Die „Felicitä Eterna“ will ihre wie
auf der Saulmont-Medaille in stummer Verschlossenheit sich abwendende
Gegnerin weniger besiegen, als bekehren: und insofern war man ganz
im Recht, wenn man in ihrem Blick und in ihrer Geste etwas Über-
redendes empfunden hat. Nur ist der Inhalt dieses lockenden „O wüß-
test du . . .“ (Fischei) nicht einer Mahnung zur Liebe, sondern umgekehrt
einem Versprechen wahreren und ewigeren Glückes gleichzusetzen: die
Frau, der diese Überredungskünste gelten, ist nicht eine spröde Sterb-
liche, die zu weicherem Fühlen bestimmt werden soll, sondern die Perso-
nifikation eines noch am Vergänglichen, an Schmuck und Blumen hän-

1) Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang der oben S. 163 erwähnte
Umstand, daß bereits die neuplatonischen Dantekommentatoren die ,,Frau Welt“ der
Vision Purg. XIX, 7 als „Felicitä falsa“ und ihre Freuden als „piacer terreni“ be-
zeichnet haben.
 
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