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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 1.1884

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Nr. 3 (15. März 1884)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29786#0032
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Vom Adensen.
Rllehl sagt ui seinem Buche „Tie Pfälzer", das; es keine deutsche
Provinz gebe, in welcher durch Ein nnd "Auswanderung verhältuis-
mäßig so viel Personen- nnd Besitzwechsel stattfinde, als in der Psalz.
Diese Thatsache hat ihre Schatten-, aber auch ihre Lichtseiten. Suchen
wir die letzteren auf, denn andern können wir an dieser Thatsache doch
nichts. Zu ihnen rechnen wir vorzüglich die Regsamkeit der Bevölkerung,
den praktischen Sinn, der das Brauchbare leicht findet, die Munterkeit,
die auch in neuen Verhältnissen den Kopf oben behält und den
Kosmopolitismus, der auch dem Patrioten nicht sebleu darf. Tiefem
Kosmopolitismus darf aber, wenn er nicht in Materialismus versinken,
oder in Schwindeleien herumvagieren soll, das Interesse an den Ide-
alen nicht fehlen, welche durch die Wissenschaft dem Verstände, durch
die Kunst dem Gemüte nahe gebracht werden. Diu Blatt, das sich
diese Ausgabe stellt, ist daher für eine so regsame Provinz, wie die
Pfalz, eine Erscheinung, welche wie wir hoffen, nicht vergebene an die
Thüren unserer Gebildeten anklopft.
Wae- die Stämme und die Völker einander nähert, was im
Einzelnen den Sinn für das "Allgemeine und Gemeinsame weckt, ist das
Ideale. Das Wahre, Gute und Schöne, das sich in dem Wechsel der
Erscheinungen offenbart, besitzt eine Macht, die die Isolirung aufhebt,
dem Partikularismus Schranken setzt, den Blick in die große Welt
ösfnet und dem einzelnen Wege zeigt, die zu den Böhen der Mensch-
heit emporlviten. Wo finden wir es aber? Richt in uns allein; nicht
in unserer nächsten Umgebung. Wir müssen ost weit umherschauen,
und Jecken und Länder durchsuchen, bis unsere Sehnsucht nach den
Idealen, die unbewußt uns treiben, gestillt wird. Deshalb wird es
auch zweckmäßig sein, wenn durch dieses Museum der Blick unserer
Leser über die Grenzen des Augenblicks und der engeren Heimat
hiuausgeleitet wird in die Werkstätten geistigen Schaffens, von denen
bahnbrechende Anregungen ausgegangeu sind oder ausgehen. Zunächst
möchten nur an einen Manu erinnern, der als Lehrer der Ästhetik au
unserer Hochschule in München einen weithin mit Ruhm genannten
Namen sich errungen und sich unserer Bemühung, den Sinn für das
Schöne in der schönen Pfalz zu pflegen vou Herzeu freut. Gs ist
Moriz Earriere, manchem unserer Leser vielleicht persönlich be-
kannt, allen aber gewiß eine Autorität in der Beurteilung dessen, was
zur höheren Bildung unseres Volkes dient.
Die letzte unter den zahlreichen Schriften Moriz Earriere's find
feine Gedichte. Gr hat sie „Agnes" betitelt und als „Liebeslieder und
Gedankendichtungen" bezeichnet (Leipzig: Fr. A. Brockhaus 1883;. Sie
feiern seine vor 20 Jahren ihm nach neunjähriger glücklicher Ghe ent-
rissene Gattin, die Tochter des berühmten Ghemikers Liebig und sind
durch den Nachweis des innigen Zusammenhangs, in welchem dieses
Ideal seines Herzens mit den Idealen seines Gentes steht, der Schlüssel
zum Verständnis feiner ganzen wissenschaftlichen Thätigkeit.
„Mir ivar des Lebens Mittelpunkt gefunden:
Am den Gedanken und Gefühle kreisen;
Denn Erd' und Himmel sah ich treu verbunden
In ihres süßen Leibes Jugendblüte,
In ihrem rein harmonischen Gemüte
In ihres ganzen Seins melod'scheu Weisen."
Sollte es uusern Lesern unliebsam sein, wenn sie mitunter auf
litterarische Erscheinungen aus dem weiteren Vaterlande, deren freundliche
Aufnahme in der Pfalz sich erwarten läßt, hingewiesen werden? Göthe
sagt: „Es ist nicht innner nötig, daß das Wahre sich verkörpere; es
ist schon genug, wenn es geistig umherschwebt und Übereinstimmung
bewirkt, wenn es wie Glockeuton erustfrcuudlich durch die Lüfte wogt."
And Carriere singt von der Kunst:
„Wie mag wohl auf des AetherS lichten Wellen
Wenn sie der Maler führt zu Haruwuieu,
-sein Geist in deinen Geist hinüberzieh'n,
Aus feinein Äug' in deines überguelleu?
Wie hat den Lüsten, die Dein Ehr uinschwellen,
Beschwingte Träger süßer Melodien
Wie ihnen wohl des Sängers Mund verliehu,
Tie Seele zu umdüsteru, zu erhellen?

Des Seins Geheimnis siehst Tu hier entschleiert,
Tenn Eins sind Licht und Auge, Eins die Geister.
Eins Luft und Klang in unsrer Herzen Triebe.
In aller Wesen bunter Fülle feiert
Tie eigne Kraft der größte Weltenmeisler,
Grund, Band und Ziel des Lebens ist die Liebe."
Die Liebe zum Idealen, die Freude an dem, was sich selbst dein
nach Klarheit ringenden Menschen als der unentbehrliche Wegweiser vor
die Seele stellt, was aufwärts zieht, ohne den sicheren Boden
unter den Füßen zu rauben, soll nebst erheiternder Unterhaltung auch
durch diese Blätter uach Möglichkeit gepflegt werden.
Minfeld. D. Daehring.

Aus der Goetlie-Litteratur.
von l>r. Micher.
Unter den unsterblichen Hervorbringungen nusers großen Dichters
ist vielleicht keine, die einst die Herzen der Zeitgenossen mehr in Liebe
oder Abneigung bewegt und gespaltet hat, als der klassische deutsche
L rigiualromau: Tie Leiden des junge n Werthe r. Nicht blos
I. M. Goeze, der schlagfertige Hauptpastor zu Hamburg, schwang da-
gegen eifernd und verketzernd sein geistliches Schwert, auch Lessing, sein
alter Gegner, äußerte sich mißbilligend gegen das „kleiugroße, verächtlich-
schätzbare Original." Selbst der treuherzige Claudius legt in feinem
Spotte deni Helden der Dichtung die Worte in den Mund:
Nun mag ich auch nicht länger leben,
Verhaßt ist mir des Tages Licht:
Tenn sie hat Franze Kuchen geben,
Mir aber nicht.
Eine ganze Reihe von Schristen, teils nachahmend, teils ver-
spottend, teils bewundernd, hat sich sofort an Goethes Werther geheftet.
Unter den Gegnern des jungen Genius, der eben im Begriffe stand,
sich den ersten Platz auf dem deutschen Parnaß zu erobern, befand
sich auch der Berliner Buchhändler Friedrich Nicolai, der damals, wie
einst Gottsched, mit seiner „Allgemeinen deutschen Bibliothek" eine
tyrannische Macht ausübte, eine Inquisition der "Aufklärung. Während
das Publikum Thränen vergoß über Werther's tragisches Geschick, schrieb
Nicolai, dessen kühler, verständiger Betrachtungsweise jede enthusiastische
Überschwänglichkeit widerstrebte, die „Freuden des jungen
Wert Hers" «Berlin 1 775s, eine schonungslose Verspottung der Em-
pfindsamkeit jener Zeit. Nicht als ob der berühmte Verfasser des
Sebaldus Notanker kein Auge gehabt hätte für die Schönheit und
die Kunst jener unsterblichen Schöpfung: aber er fürchtete, die gebildeten
Stünde würden durch solche Schriften sittlich erschlafft uud die Herzeu
weibisch gemacht werden. Tie „Freuden des jungen Werther" finden
wir in jeder Litteraturgefchichte erwähnt, doch dürfte die Kenntnis des
Büchleins in den meisten Fällen über den Titel desselben nicht hinaus-
gehen; das Schriftcheu mit seiner anmutigen Vignette von Chodowiecki,
das doch auch einst nicht geringes Aufsehen unter den Zeitgenossen
erregt und für welches sich Goethe nicht minder bitter in den ,Meinen"
gerächt hat, gehört zu dieser Frist bereits unter die litterarischeu Selten-
heiten. Vielleicht gelingt es mir, den Leser einige Augenblicke für
dasselbe zu interessieren.
Nicolai hat seinem fatprischen Roinau einen Dialog vorausge-
schickt, in welchem er die Tendenz seines Schristchens erläutert. Martin,
ein Mann von zwei und vierzig Jahren, macht gegen Goethe's Werther
die nüchterne Anschauung des gesunden Menschenverstandes geltend,
Haus, ein Jüngling vou einundzwanzig Jahren ist voll Bewunderung
für das Meisterstück des Tichters.
Hans, s' Ivar mit Wertstem zu weit, s' könnt' nun nicht
anders werden, mußt' notwendig so koniiueu.
Martin. Versteh'mich. Wenn Du Wertheru betrachtest, mieden
Thön in der Hand des Töpfers, Ivie einen Eharakter in der Hand
des Tichters, so mußt's so kommen. Der Autor hat freilich, mit
seltner Kenntnis, alte Züge dieses schwärmerischen Charakters so zu-
sammengesetzt, mit bewundernswürdiger Feinheit alle Begebenheiten,
 
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