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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 1.1884

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Nr. 3 (15. März 1884)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29786#0033
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auch die kleinsten, so eingeleitel, das; die schreckliche Katastrophe natürlich
erfolgt, die uns das herbe Ach! erpressen soll. Stellst Dn Dir aber
Werthern vor als einen Menschen, der in der Gesellschaft lebt, so halt'
er Unrecht, das; er einzeln sein nnd die Menschen nm sich als Feinde
ansehen wollte. Er hatte, seit er an der Mntter Brnst lag, die Wohl-
thaten der Gesellschaft genossen, er war ihr dagegen Pflichten schuldig.
Sich ihnen zn entziehen war Undank nnd Laster; sie ausüben würde
Tagend nnd Hernhignng gewesen sein. Selbst nachdem er schon die
hoffnungslosen Todesbriefe geschrieben hatte, selbst da noch, hält' er
gedacht, daß er noch Sohn, Bürger, Hansvater, Freund sein könnte,
seül müßte, so konnte noch Trost nnd Zufriedenheit, von vielen Seiten
her ans seine bedrängte Seele stießen, wenn er nicht mit einem Stoße
die Thür zuwarf.
H a il s. Müßt' wahrlich nicht, wie Werther da noch glücklich Hütt'
werden können: war ja seines Leidens kein Ende zu finden.
Diesen Nachweis, daß die Katastrophe, mit welcher der'Goethe'iche
Werther schließt, nicht notwendig habe eintreten müssen, sucht nun
Nieolai zu führen in seinen „Freuden des jungen Werther."
Die Erzählung knüpft unmittelbar an Goethe's Werther an nnd zwar
an jene bekannte leidenschaftliche Scene, die ans die Borlesung einiger
Gesänge Sssians folgte. Doch lassen wir den Autor in den hervor-
ragendsten Partiell seines Büchleins selbst zu Worte kommen.
Als Albert ans seinem Zimmer zurückkam, wo er mehrmals hin-
und hergegangen war, und sich gesammelt, als er seine Packete durchge-
seheil hatte, kam er wieder zn Lotteil nnd fragte lächelnd:
Und was wollte Werther? Sie wußten ja so gewiß, daß er
vor Weihnachtsabends nicht wiederkvmmen würde!
Nach Hiil- nnd Wiederreden gestand Lotte, aufrichtig wie ein
edles deutsches Mädchen, den ganzen Borgang des gestrigen Abends.
Zudem sie's aber gesagt hatte, bangte sie auch schon, sie möchte, ans
Unknnde zn lügen, ihm Wermut gereicht haben.
Nein, sagte Albert sehr ruhig: Sie haben Balsam in meine
Seele gegossen. Sie verleugnen auch hierin ihr edles Herz nicht. Aber
eilt wenig unüberlegt haben Sie gehandelt, meine liebe Lotte. Sie
hatten ihm, wie ich merke, ein Besprechen abgezwungen, das; er vor
Weihnachtsabend nicht wieder kommen wollte. Sie wollten mich da-
durch beruhigen, weil Sie wußten, das; ich verreisen mußte, weil Sie,
liebste Lotte, meine Eifersucht geweckt hatten, die ich gerne vor mir
selbst verborgen hätte. Ich danke Ihnen dafür ier küßt ihr die Hands.
Aber da nun Werther wider sein Versprechen sich eindrang, so hätten
Sie sich nicht so vertraulich mit ihm aus's Kanapee setzen nnd unter
vier Augen in Büchern lesen sollen. Sie verließen sich auf „„die
Reinheit ihres Herzens."" H Dies ist für ein Mädchen ein sehr edles
Bewußtsein. Aber da denkt der beste Kerl nicht dran, zumal wenn
die Liebe Hindernisse findet und die Zeit kostbar ist. L Weiber!
Macht's dem besten Buben weiß, das; er auch Ein Versprechen unge-
straft brechen darf, nnd er wird mehrere brechen wollen. So haben
Sie's, liebste Lotte, ohne es zn denken, selbst so eingeleitet, daß Sie
sich in's Kabinett verschließen mußten. — Die Scene Ivar wirklich
stark — —
Lotte weinte bitterlich.
Albert nahm sie bei der Hand nnd sagte sehr ernsthaft: Be-
ruhigen Sie sich, liebstes Kind. Sie lieben den Jungen, er ist's wert,
datz Sie ihn lieben, Sie habew's ihm gesagt, mit dem Munde oder
mit den Augen, 's ist einerlei.
Lotte siel ihm schluchzend in die Rede, beteuerte, das; sie ihn
nicht liebe, das; er vielmehr nach der letzten Scene ihren Haß verdiene,
daß sie ihn verabscheue. —
Verabscheuen? Das ist etwas, liebstes Lottchen, das lautet
so, als ob Sie ihn noch liebten. Hätten Sie ganz gelassen gesagt, der
Bursch wäre Ihnen gleichgültig, so Hütteich ganz still geschwiegen,
so hätte ich Ihnen nicht gesagt, daß ich wechselseitige Liebe nicht stören
will, daß ich alle Ansprüche —
Großer Gott! ries Lotte laut schluchzend, indem sie das Gesicht
mit dem Schnupstnche bedeckte, wie können Sie meiner so grausam
spotten! Bin ich nicht Ihre Verlobte? Ja, er soll mir sein, was
Sie wollen, gleichgültig! verabschenungswürdig! so gleichgültig als —

*) Die mit „„—"" bezeichneten stellen sind Citate ans Goethe's
Werther.

Als ich selbst? ries Albert. Das wäre für mich gut, aber
nicht für ihn. Für mich wäre unter diesen Umständen — --
Indem kam der Knabe, der WertherS Zettelchen brachte, worin
I er Alberten nm die Pistolen bat.
Albert las den Zettel. Murmelte vor sich: Duerkops! ging in
sein Zimmer, ergriff die Pistolen, lud sie selbst und gab sie dem
Knaben. Da! bring sie, sagt' er, Deinem Herrn. Sage ihm, er soll
sich wohl damit in Acht nehmen, sie wären geladen. Und ich ließe ihm
eine glückliche Reise wünschen.
Lotte staunte — Albert erklärte ihr nun weitläusig, er gebe
nach reifer Überlegung alle Ansprüche an sie ans. Er wolle eine
zärtliche wechselseitige Liebe nicht stören. Er wolle sie beide nnd sich
selbst nicht unglücklich machen. Aber er wolle ihr Freund bleiben.
Er wolle selbst Werthers wegen sogleich an ihren Vater schreiben, das solle
sie auch thnn nnd Werthern eher nichts sagen, bis sie Antwort erhalten habe.
Lotte, nach vielen Umschweifen, nach vieler weiblicher Zurückhal-
tung, gestand ihre herzliche Liebe zu Werthern, nahm Alberts Vorschlag
dankbar an und ging in ihr Zimmer, nm zu schreiben.
Im Weggehen kehrte sie noch um nnd äußerte eine ängstliche
Besorgnis wegen der Pistolen.
Sein Sie ruhig, Kind! Wer sich von seinem Nebenbuhler
Pistolen fordert, erschießt sich nicht. Und wenn er allenfalls — —
So schieden sie von einander.
Der Verfasser erzählt nun weiter, wie Werther eine der Pistolen
vor den Kops setzt, losdrückt nnd zu Boden fällt. Die Nachbarn
lausen zusammen. Auch Albert erscheint vor dem Bette des Unglück-
lichen, der blntbespritzt, mit stillem Röcheln daliegt. Er ist bereit,
Lotten ihm abzutreten. Und — o Glück! Die Pistole war nur mit
einer Blase voll Blut geladen, Blut vou einem Huhn, das Werther
noch diesen Abend mit Lotten verzehren soll. Werther springt aus
und umarmt deu edelmütigen Freund.
Und so gehen sie zum Abendessen.
In wenigen Monaten ward Werthers und Lottens Hochzeit
vollzogen. Ihre ganzen Tage waren Liebe, warm nnd heiter wie
die Frühlingstage, in denen sie lebten. Sie lasen auch noch zusammen
Sssians Gedichte, aber nicht Selma's Gesang oder den traurigen Tod
i der schönängigen Dar-Thnla, sondern ein wonniglich Minnelied von
' der Liebe der reizenden Eolna-Dona, „deren Angen rollende Sterne
waren, ihre Arme weiß wie Schaum des Stroms uud deren Brust
sich sanft hob, wie eine Welle ans dem ruhigen Meere"
Nach zehn Monaten war die Geburt eines Sohnes die Losung
unaussprechlicher Freude.
Im zweiten Abschnitt seines Büchleins schildert Nieolai die
j „Leiden Werthers des Mannes." Die Geburt des ersten Kindes hatte
Lotten an den Rand des Grabes gebracht. Die Amme, die ihm gegeben
wird, ist mit verborgener Pest angesteckt, sie vergiftet den Säugling
nnd dieser unwissend die Mutter, die ihn liebkost. Lotte ward nach
, langer Krankheit dein Tode entrissen, das Kind war nicht zn retten.
Zu diesem Schmerz, der Werthern niederdrückt, gesellen sich jetzt
noch andre Sorgen. Die häuslichen Unfälle haben das väterliche Erb-
teil ansgesogen, Werther muß ein Amt annehmen. Seine gute Laune
ward ihm seltener. Auch Lotte entdeckt zu ihrem großen Leidwesen,
das; jene schönen Tage unwiederbringlich dahin sind, wo Werthern das
Herz ausging, wenn er nur iu ihre schönen Augen ihr sah. Sie
schmollt immer mehr mit ihrem Gatten, der den Tag aus der Arbeits-
stube versitzt uud am Abend weggeht, nm seinen Arger vor seiner
Fran zu verbergen. Lotte läßt sich schließlich vou einem luftigen
Gecken den Hof machen, nm ihren Werther zur srühern Zärtlichkeit
znrückznführen. Aber das Übel wird immer ärger, die beiden Gatten
trennen sich, Lotte zieht wieder zu ihrem Vater.
Lotte weinte Tag und Nacht, sie liebte Werthern in der Seele
nnd wollte doch nicht Unrecht gehabt haben. Werther schlug sich mit
der Faust wider die Stirn; hui! schrie er, unbeschreiblich fressender
> ist der Gram, als je sonst einer! Ich habe Lotten nnd soll sagen,
- sie liebt mich nicht; besser war's, da sie mich liebte nnd hatte sie nicht. —
Der letzte Theil von Nicolai'S Spottschrift enthält die „Fren-
! den Wert her's des Mannes."
Albert war in Geschäften seines Fürsten acht Monden in Wien
gewesen nnd kam zurück, kurz darauf, als Werther und Lotte sich ge-
trennt hatten.
 
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