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des Elsaß an das deutsche Reich und die deutsche Zunge erinnert,
sind die Uniformen der Zollbeamten und Grenzjäger und die
deutschen Ausschriften über den Einnehmereien und Postagenturen.
Als ich mir in einer der letzteren Postkarten kaufte bei der Be-
sitzerin einer opioorio, welche zugleich die Postgeschäfte besorgt,
mußte ich dieselben auf französisch fordern. Trotz des vor-
herrschenden Patois erhält man auf Fragen in der französischen
Schriftsprache von den Leuten Antworten in verständlichem
Französisch. Abends um 8 Uhr rückte ich in Saales ein, einem
wohlhabenden Marktflecken, der kaum 15 Minuten von der
Grenze abliegt in einer nach dem oberen Ende des Breuschthales
sich hinabsenkenden Einsattelung; die Gebirgskette zeigt dort eine
Lücke von etwa 2—3 Kilometer in der Breite. Da saßen die
Leutchen, alt und jung, schwatzend vor den Hausthüren und
empfahlen mir, bevor ich noch darnach fragte, zuvorkommend
das Hotel du eommoreo des Herrn iUa88srot. Ich traf es da
sehr gut; alles war gediegen und billig, wie ich überhaupt auf
meiner ganzen Reife nirgends überfordert wurde. Die Frau
Wirtin, ist eine respektable Erscheinung, eine echte Französin mit
olivenfarbigem Teint, dunklen Augen und glänzend schwarzem
Haar. Ihre Bewegungen und ihre Sprache waren sehr lebhaft.
Mir wurde ein Zimmer angewiesen mit der bekannten, franzö-
sischen Einrichtung: Himmelbett mit großen Vorhängen, franzö-
sischer Kamin u. f. w. Im Gastzimmer traf ich zwei deutsche
Herren, einen älteren und einen jüngeren Gelehrten, Geologen
von einer norddeutschen Universität, sie hielten sich zum Zwecke
wissenschaftlicher Studien schon einige Wochen daselbst auf pnd
hämmerten tagsüber aus den Bergen herumsteigend Steine los.
Meine Hoffnung, einmal wieder in der Muttersprache mich
unterhalten zu können, wurde leider zu Wasser, da die beiden
Herren nach Tisch gehörig „fachsimpelten", wenn man mir die
Kühnheit verzeiht, diesen burschikosen Ausdruck zu gebrauchen.
Ter jüngere, offenbar ein strebsamer Privatdozent, gefiel sich
namentlich darin, mindestens ein halbes Dutzend Fachgenossen
kritisch zu zerrupfen, so daß wenig von ihnen unversehrt blieb.
Keiner arbeitete ihm gründlich und sorgfältig genug. Der
Professor war in seinem Urteile milder als sein jugendlicher
Genosse und warf dann und wann Bemerkungen dazwischen, die
mir teilweise ein wenig ironisch klangen. Nachdem der Jüngere
den Strom seiner Beredsamkeit gesperrt hatte, vertiefte sich jeder
von beiden in einen französischen Roman. Ich las den Pariser
„Temps", bis ich das Bett aufsuchte. Am nächsten Morgen
nahm ich Abschied von dem gastlichen Hause und der würdigen
Hoteliersgattin, die ein wirklich seines Französisch sprach, und
sah mich ein wenig in dem Orte um. Es herrschte an diesem
Tage ein reges Leben und Treiben in Saales, da gerade Vieh-
markt war. Es wimmelte von jüdischen Händlern, dazu von
Marktweibern, da gleichzeitig auch ein Lebensmittelmarkt stattsand.
Kein deutsches Wort war zu hören. Da entdeckte ich einen
Zollwächter, redete ihn an und erkannte in ihm einen biedern
Baiern. Es that mir ganz Wohl deutsch sprechen zu können.
Ich fragte den Mann, ob ich es wagen könne, eine Strecke weit
über die Grenze zu gehen, ohne Unannehmlichkeiten befürchten
zu müssen. Er sagte, da ich ja ein harmloser Tourist sei, könne
ich den Versuch schon wagen. Hierauf gab ich meiner Ver-
wunderung darüber Ausdruck, daß die deutsche Sprache in dieser
Gegend gänzlich unbekannt sei. Jener erwiderte: „Ja, hören'
S', da heroben san s' bereits ganz walsch!" Ich fragte, ob er
denn französisch sprechen könne. „Schwach!" war seine Antwort;
er habe ein bißchen parlieren gelernt. Über die Schulverhält-
nisse erfuhr ich folgendes: der Lehrer sei nicht mehr jung, ein Einge-
borner, der selbst nicht geläufig deutsch sprechen könne. Die
Kinder lernten daher in der Schule nur notdürftig deutsch lesen
und schreiben, in den Familien werde ausschließlich Patois ge-
sprochen, und sobald die Kinder aus der Schule entlassen seien,
werde das Bissel Deutsch schnell vergessen. Ich horchte aus bei
dieser Erklärung. Solche Zustände Hatteich nicht vermutet; da
hat ja, sagte ich mir, seit vollen 15 Jahren die Germanisierung,
insbesondre soweit sie die Ausbreitung der deutschen Sprache be-
trifft, gar keine Fortschritte gemacht! Vor nicht langer Zeit
las man in den Zeitungen, daß der gleiche Zustand noch in
vielen Gemeinden des Reichslandes herrsche, abgesehen von den
französisch redenden Gegenden Deutschlothringens, daneben ver-
nahm man aber auch die erfreuliche Botschaft, daß der jetzige
Statthalter Fürst Hohenlohe entschiedene Maßregeln zur Ab-
stellung dieses Mißstandes ergreifen werde. Es ist auch wirk-
lich hohe Zeit! Die Bewohner dieses Hinterlandes von Schirm-
eck gehören zum Kreis Molsheim; die Entfernung von Saales
nach Molsheim beträgt gegen 50 Kilometer. Zur französischen
Zeit gehörte diese Gegend zum Departement Vosges und noch
jetzt wird ein lebhafter Verkehr mit der französischen Grenzstadt
St.-Dio unterhalten, die etliche 20 Kilometer von der Grenze
entfernt ist. Ein Postomnibus geht täglich zwischen Rothau und
St.-Dio hin und her. Das Ereignis meiner Grenzüberschreitung
vollzog sich ohne Schwierigkeit; ich setzte den Fuß auf das Ge-
biet der herrlichsten aller Republiken und marschierte 3 Kilo-
meter nach Frankreich hinein. Da ich aber sah, daß die Gegend
auf dieser Seite der Grenze genau dasselbe Aussehen habe wie
auf der anderen, und da kein Dorf in der Nähe sich zeigte, da
außerdem damals noch keine Baracken zu sehen waren, so trat
ich bald den Rückzug an, ohne von jemand angefochten worden
zu sein. Es begegnete mir nur ein französischer Straßenwärter
und eine Anzahl heimwärtskehrender Marktfrauen und -Mädchen,
die mich neugierig musterten und hinter meinem Rücken sich zu-
flüsterten: o'o8t un ^Ilonmnä, un krussion! Von Saales lief
ich wieder dieselbe Strecke ab, die ich tags zuvor zurückgelegt
hatte. Ein Grenzwächter, den ich unterwegs traf, sagte mir,
daß er täglich einen weiten Begang zu machen habe, und wollte
von mir wissen, was die neuesten Zeitungen über das Unwohl-
sein des Kaisers meldeten. Wie dem Leser erinnerlich sein wird,
war der Kaiser durch ein Unwohlsein verhindert worden, die
geplante Reise nach Metz auszuführen; der Kronprinz ging als
sein Stellvertreter dorthin. Man munkele davon, fuhr der Mann
fort, daß auf den Kronprinzen während der Eisenbahnfahrt von
Straßburg nach Metz ein Attentat habe ausgeführt werden sollen.
Ich konnte ihn mit der Versicherung beruhigen, daß dieses Ge-
rücht ganz grundlos sei. Daß aber derartige Gerüchte in jener
Gegend leicht aufkommen und Glauben finden, ist nur ein Kenn-
zeichen der in der Bevölkerung herrschenden, politischen Stimmung.
Man hängt im tiefsten Herzen an Frankreich fest und hofft heim-
lich auf die Stunde der Wiedervereinigung; deshalb horcht man
auf jede Alarmnachricht und ist stets zum Sprung über die von
Deutschland gezogene Grenze und zum Händedruck mit den
früheren Landsleuten bereit. Wenn es hier nur nicht heißt:
„Hoffen und harren macht manchen zum Narren!"
Von Rothau fuhr ich mit der Bahn nach Urmatt, von
hier ging ich nach Niederhaslach, das eine höchst sehenswürdige
gothische Kirche besitzt, und wanderte am andern Tag das
wundervolle Nideckthal mit seinen Porphyrfelsen und Edeltannen
aufwärts bis zum Wasserfall. Von Niederhaslach ging ich dann
des Elsaß an das deutsche Reich und die deutsche Zunge erinnert,
sind die Uniformen der Zollbeamten und Grenzjäger und die
deutschen Ausschriften über den Einnehmereien und Postagenturen.
Als ich mir in einer der letzteren Postkarten kaufte bei der Be-
sitzerin einer opioorio, welche zugleich die Postgeschäfte besorgt,
mußte ich dieselben auf französisch fordern. Trotz des vor-
herrschenden Patois erhält man auf Fragen in der französischen
Schriftsprache von den Leuten Antworten in verständlichem
Französisch. Abends um 8 Uhr rückte ich in Saales ein, einem
wohlhabenden Marktflecken, der kaum 15 Minuten von der
Grenze abliegt in einer nach dem oberen Ende des Breuschthales
sich hinabsenkenden Einsattelung; die Gebirgskette zeigt dort eine
Lücke von etwa 2—3 Kilometer in der Breite. Da saßen die
Leutchen, alt und jung, schwatzend vor den Hausthüren und
empfahlen mir, bevor ich noch darnach fragte, zuvorkommend
das Hotel du eommoreo des Herrn iUa88srot. Ich traf es da
sehr gut; alles war gediegen und billig, wie ich überhaupt auf
meiner ganzen Reife nirgends überfordert wurde. Die Frau
Wirtin, ist eine respektable Erscheinung, eine echte Französin mit
olivenfarbigem Teint, dunklen Augen und glänzend schwarzem
Haar. Ihre Bewegungen und ihre Sprache waren sehr lebhaft.
Mir wurde ein Zimmer angewiesen mit der bekannten, franzö-
sischen Einrichtung: Himmelbett mit großen Vorhängen, franzö-
sischer Kamin u. f. w. Im Gastzimmer traf ich zwei deutsche
Herren, einen älteren und einen jüngeren Gelehrten, Geologen
von einer norddeutschen Universität, sie hielten sich zum Zwecke
wissenschaftlicher Studien schon einige Wochen daselbst auf pnd
hämmerten tagsüber aus den Bergen herumsteigend Steine los.
Meine Hoffnung, einmal wieder in der Muttersprache mich
unterhalten zu können, wurde leider zu Wasser, da die beiden
Herren nach Tisch gehörig „fachsimpelten", wenn man mir die
Kühnheit verzeiht, diesen burschikosen Ausdruck zu gebrauchen.
Ter jüngere, offenbar ein strebsamer Privatdozent, gefiel sich
namentlich darin, mindestens ein halbes Dutzend Fachgenossen
kritisch zu zerrupfen, so daß wenig von ihnen unversehrt blieb.
Keiner arbeitete ihm gründlich und sorgfältig genug. Der
Professor war in seinem Urteile milder als sein jugendlicher
Genosse und warf dann und wann Bemerkungen dazwischen, die
mir teilweise ein wenig ironisch klangen. Nachdem der Jüngere
den Strom seiner Beredsamkeit gesperrt hatte, vertiefte sich jeder
von beiden in einen französischen Roman. Ich las den Pariser
„Temps", bis ich das Bett aufsuchte. Am nächsten Morgen
nahm ich Abschied von dem gastlichen Hause und der würdigen
Hoteliersgattin, die ein wirklich seines Französisch sprach, und
sah mich ein wenig in dem Orte um. Es herrschte an diesem
Tage ein reges Leben und Treiben in Saales, da gerade Vieh-
markt war. Es wimmelte von jüdischen Händlern, dazu von
Marktweibern, da gleichzeitig auch ein Lebensmittelmarkt stattsand.
Kein deutsches Wort war zu hören. Da entdeckte ich einen
Zollwächter, redete ihn an und erkannte in ihm einen biedern
Baiern. Es that mir ganz Wohl deutsch sprechen zu können.
Ich fragte den Mann, ob ich es wagen könne, eine Strecke weit
über die Grenze zu gehen, ohne Unannehmlichkeiten befürchten
zu müssen. Er sagte, da ich ja ein harmloser Tourist sei, könne
ich den Versuch schon wagen. Hierauf gab ich meiner Ver-
wunderung darüber Ausdruck, daß die deutsche Sprache in dieser
Gegend gänzlich unbekannt sei. Jener erwiderte: „Ja, hören'
S', da heroben san s' bereits ganz walsch!" Ich fragte, ob er
denn französisch sprechen könne. „Schwach!" war seine Antwort;
er habe ein bißchen parlieren gelernt. Über die Schulverhält-
nisse erfuhr ich folgendes: der Lehrer sei nicht mehr jung, ein Einge-
borner, der selbst nicht geläufig deutsch sprechen könne. Die
Kinder lernten daher in der Schule nur notdürftig deutsch lesen
und schreiben, in den Familien werde ausschließlich Patois ge-
sprochen, und sobald die Kinder aus der Schule entlassen seien,
werde das Bissel Deutsch schnell vergessen. Ich horchte aus bei
dieser Erklärung. Solche Zustände Hatteich nicht vermutet; da
hat ja, sagte ich mir, seit vollen 15 Jahren die Germanisierung,
insbesondre soweit sie die Ausbreitung der deutschen Sprache be-
trifft, gar keine Fortschritte gemacht! Vor nicht langer Zeit
las man in den Zeitungen, daß der gleiche Zustand noch in
vielen Gemeinden des Reichslandes herrsche, abgesehen von den
französisch redenden Gegenden Deutschlothringens, daneben ver-
nahm man aber auch die erfreuliche Botschaft, daß der jetzige
Statthalter Fürst Hohenlohe entschiedene Maßregeln zur Ab-
stellung dieses Mißstandes ergreifen werde. Es ist auch wirk-
lich hohe Zeit! Die Bewohner dieses Hinterlandes von Schirm-
eck gehören zum Kreis Molsheim; die Entfernung von Saales
nach Molsheim beträgt gegen 50 Kilometer. Zur französischen
Zeit gehörte diese Gegend zum Departement Vosges und noch
jetzt wird ein lebhafter Verkehr mit der französischen Grenzstadt
St.-Dio unterhalten, die etliche 20 Kilometer von der Grenze
entfernt ist. Ein Postomnibus geht täglich zwischen Rothau und
St.-Dio hin und her. Das Ereignis meiner Grenzüberschreitung
vollzog sich ohne Schwierigkeit; ich setzte den Fuß auf das Ge-
biet der herrlichsten aller Republiken und marschierte 3 Kilo-
meter nach Frankreich hinein. Da ich aber sah, daß die Gegend
auf dieser Seite der Grenze genau dasselbe Aussehen habe wie
auf der anderen, und da kein Dorf in der Nähe sich zeigte, da
außerdem damals noch keine Baracken zu sehen waren, so trat
ich bald den Rückzug an, ohne von jemand angefochten worden
zu sein. Es begegnete mir nur ein französischer Straßenwärter
und eine Anzahl heimwärtskehrender Marktfrauen und -Mädchen,
die mich neugierig musterten und hinter meinem Rücken sich zu-
flüsterten: o'o8t un ^Ilonmnä, un krussion! Von Saales lief
ich wieder dieselbe Strecke ab, die ich tags zuvor zurückgelegt
hatte. Ein Grenzwächter, den ich unterwegs traf, sagte mir,
daß er täglich einen weiten Begang zu machen habe, und wollte
von mir wissen, was die neuesten Zeitungen über das Unwohl-
sein des Kaisers meldeten. Wie dem Leser erinnerlich sein wird,
war der Kaiser durch ein Unwohlsein verhindert worden, die
geplante Reise nach Metz auszuführen; der Kronprinz ging als
sein Stellvertreter dorthin. Man munkele davon, fuhr der Mann
fort, daß auf den Kronprinzen während der Eisenbahnfahrt von
Straßburg nach Metz ein Attentat habe ausgeführt werden sollen.
Ich konnte ihn mit der Versicherung beruhigen, daß dieses Ge-
rücht ganz grundlos sei. Daß aber derartige Gerüchte in jener
Gegend leicht aufkommen und Glauben finden, ist nur ein Kenn-
zeichen der in der Bevölkerung herrschenden, politischen Stimmung.
Man hängt im tiefsten Herzen an Frankreich fest und hofft heim-
lich auf die Stunde der Wiedervereinigung; deshalb horcht man
auf jede Alarmnachricht und ist stets zum Sprung über die von
Deutschland gezogene Grenze und zum Händedruck mit den
früheren Landsleuten bereit. Wenn es hier nur nicht heißt:
„Hoffen und harren macht manchen zum Narren!"
Von Rothau fuhr ich mit der Bahn nach Urmatt, von
hier ging ich nach Niederhaslach, das eine höchst sehenswürdige
gothische Kirche besitzt, und wanderte am andern Tag das
wundervolle Nideckthal mit seinen Porphyrfelsen und Edeltannen
aufwärts bis zum Wasserfall. Von Niederhaslach ging ich dann