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Pfisterer, Ulrich; Donatello
Donatello und die Entdeckung der Stile: 1430-1445 — München: Hirmer Verlag, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.57354#0149

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Mit Informationen zum Genius jedoch, seinei Funktion und seinem Aus-
sehen, geizte diese Spezialliteratur ebenso, wie eine Reihe anderer spätanti-
ker und mittelalterlicher Nachschlagewerke, die nicht ausschließlich auf
mythographische Fragen ausgerichtet waren." Wer dennoch etwas über
diese Gottheit in Erfahrung bringen wollte, mußte die bei den antiken Auto-
ren verstreuten und vergleichsweise wenig illustrativen Hinweise großen-
teils selbst zusammensuchen.
Varro hatte Grundbedeutung und -funktion mitgeteilt: »Was ist der Genius?
Der Gott |. . ,|, der die Macht hat über alles, was erzeugt werden soll.«100
Der Genius wurde als lebens- bzw. fruchtbarkeitsspendendes und schützen-
des Prinzip in der Natur definiert. Daß unter Natur jeder einzelne Ort, jede
Sache und jeder Mensch zu verstehen seien, bestätigte der Vergil-Kommen-
tator Servius: »Genius nennen die Alten den eingeborenen Gott eines jeden
Ortes, einer jeden Sache oder eines jeden Menschen«.101 Horaz lieferte den
dritten locus classicus:
[...] genius natale comes qui temperat astrum
Naturae deus humanae mortalis in unum:
Quodque caput vultu mutabilis albus & ater.102
Durch Textverderbnis war zwar in vielen Handschriften aus dem >Gott
der menschlichen Natur* ein >Gott der Natur (im Allgemeinen)* geworden.
Immerhin aber war der Passage zu entnehmen, daß mit der Geburt dem
Menschen ein guter und schlechter Genius zugeteilt wurden, wie nach
christlicher Lehre jeder einen Schutzengel und einen Dämon besitzt.103
1,9 Parias, Vocabnlarium: »Genius mimen a paganis dicitur: qui quasi vim habeat
omnium rerum gignendarum. Genius deus nature. inde genialis id est voluptuosus«; Isi-
dor, Etymologiae, VIII, 11, 88: »Genium autem dicunt quod quasi vim habeat omnium
rerum gignendarum, seu a gignendis liberis; unde et geniales lecti dicebantur a gentibus, qui
novo marito sternebantur«; Festus, De uerborum significatu, 94f.: »Genium appellabant
deum, qui vim obtineret rerum omnium gerendarum. Augustinus: »Genius*, inquit, >est
deorum Filius, et parens hominum, ex quo homines gignuntur. Et propterea Genius meus
nominatur, quia nie genuit.* Alii genium esse putarunt uniuscuique loci deum«; Rabanus
Maurus, De Universa, in: PL 111, Sp. 433B übernimmt wörtlich Isidor; Remigius, Com-
mentum, Bd. 1, 118 zu 28.12: »ET GENIUS deus naturalis qui omnium rerum generationi-
bus praeest. Genios enim dicimus qui singulis nascentibus tribuuntur«; Mythographus
III s. App. B, 1; Balbus, Catholicon, s. App. B, 3.
100 Varro bei Augustinus, De civitate Dei, 7, 13: »Quid est Genius? Deus [...] qui prae-
positus est ac vim habet omnium rerum gignendarum.«
101 Servius ad Georg. I, 302: »Genium dicebant antiqui naturalem deum uniuscuique
loci vel rei vel hominis«.
102 Horaz, Epistularum Uber, II, 2, 187-189: »[...] der Genius, der den Stern unseres
Lebens lenkt als Begleiter, mit dem Menschen vergehend, der Gott, für den einzelnen jeweils
wandelnd sein Antlitz und drum bald hell erscheinend, bald dunkel.«
103 VgL Servius ad Aen. VI, 743: »Nam cum nascimur, duos genios sortimur: unus est

4. Genius loci und verwandte Bedeutungen des Putto 149
 
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