Dagegen dürfte Albertis Satire auf den Götterolymp, Momus seu de prin-
cipe, einen Hinweis auf das Loch im Scheitel des Knaben geben. Es scheint
zur Befestigung eines verlorenen oder nur von Zeit zu Zeit eingesetzten
Gegenstandes gedient zu haben, der bei leicht erhöhter Aufstellung der Sta-
tue nicht einsehbar gewesen wäre. Ergänzt man hypothetisch eine kleine
Schale mit brennendem Öl oder einen Kerzenständer, hätte sich ein im
Momus mehrfach evoziertes Bild geboten:
Bei den Himmelsgöttern gibt es von Ewigkeit her ein heiliges Feuer |.. .|
Eine diesem heiligen Feuer entnommene Flamme leuchtet am höchsten
Punkt der Stirn eines jeden Gottes und verleiht ihm die Kraft, sich in jede
beliebige Gestalt zu verwandeln.144
Im Falle unseres als besonders wandelbar beschriebenen Genius hätte eine
solche Flamme den Betrachter daran erinnert, daß er hier die Epiphanie
oder die Verwandlung eines Spiritus miterlebte. Vor seinen Augen transfor-
mierte sich der Ortsgott aus der Erscheinungsform der Schlange in seine
eigentliche Gestalt oder zog sich umgekehrt in das am Boden kriechende
Reptil zurück. Von kunsthistorischer Seite war mehrfach Verwunderung
darüber geäußert worden, daß der Knabe das sich unter seinen Zehen
schlängelnde Tier nicht zertrete, geschweige denn beachte. Sollte diese enge
Verbindung dagegen gerade den Übergang von der einen in die andere
Wesensform verbildlichen, wäre auch das logische Problem gelöst, warum
der Genius loci zwar in verschiedener Gestalt, aber eben doch zweimal zu
sehen wäre.
Amor als Dämon und die >Genien der Vier Elemente<
Die Identifizierung von Donatellos Amor-Atys als genius loci hat sich jetzt -
wie zu Anfang gefordert - an den beiden ähnlichen, als Brunnenfiguren
dienenden Typen von Putti zu bewähren. Zuerst jedoch soll noch in aller
Kürze angedeutet werden, warum auch Amor und seine Gefolgschaft von
Eroten den spiritelli brüderlich verwandt scheinen.
Die Verbindung resultiert letztlich aus Platos einflußreicher Bestimmung
Amors als eines Dämons und der Zuweisung von Aufgaben und Einfluß-
sphären, die bei anderen Autoren in den Bereich des (guten und schlechten)
Genius fallen. Ficino faßt in seinem Kommentar zum Symposion die Lehre
präzise zusammen:
Die beiden Veneres jedoch und die beiden Amores befinden sich nicht nur
in der Weltseele, sondern auch in den Seelen der Sphären, der Gestirne,
144 Alberti, Momus, 26f.: »Est apud superos sacer aeterno ab aevo ductus focus |.. .|
Isthoc sacro ex foco hausta flammula ad summum frontis verticem quibusque deoruni ilki-
cet, atque ea quidem in diis hanc habet vim, ut ea conspicui in quas velint rerum formas sese
queant ex arbitrio vertere«, vgl. 264 f.
162 III. Donatellos Putten
cipe, einen Hinweis auf das Loch im Scheitel des Knaben geben. Es scheint
zur Befestigung eines verlorenen oder nur von Zeit zu Zeit eingesetzten
Gegenstandes gedient zu haben, der bei leicht erhöhter Aufstellung der Sta-
tue nicht einsehbar gewesen wäre. Ergänzt man hypothetisch eine kleine
Schale mit brennendem Öl oder einen Kerzenständer, hätte sich ein im
Momus mehrfach evoziertes Bild geboten:
Bei den Himmelsgöttern gibt es von Ewigkeit her ein heiliges Feuer |.. .|
Eine diesem heiligen Feuer entnommene Flamme leuchtet am höchsten
Punkt der Stirn eines jeden Gottes und verleiht ihm die Kraft, sich in jede
beliebige Gestalt zu verwandeln.144
Im Falle unseres als besonders wandelbar beschriebenen Genius hätte eine
solche Flamme den Betrachter daran erinnert, daß er hier die Epiphanie
oder die Verwandlung eines Spiritus miterlebte. Vor seinen Augen transfor-
mierte sich der Ortsgott aus der Erscheinungsform der Schlange in seine
eigentliche Gestalt oder zog sich umgekehrt in das am Boden kriechende
Reptil zurück. Von kunsthistorischer Seite war mehrfach Verwunderung
darüber geäußert worden, daß der Knabe das sich unter seinen Zehen
schlängelnde Tier nicht zertrete, geschweige denn beachte. Sollte diese enge
Verbindung dagegen gerade den Übergang von der einen in die andere
Wesensform verbildlichen, wäre auch das logische Problem gelöst, warum
der Genius loci zwar in verschiedener Gestalt, aber eben doch zweimal zu
sehen wäre.
Amor als Dämon und die >Genien der Vier Elemente<
Die Identifizierung von Donatellos Amor-Atys als genius loci hat sich jetzt -
wie zu Anfang gefordert - an den beiden ähnlichen, als Brunnenfiguren
dienenden Typen von Putti zu bewähren. Zuerst jedoch soll noch in aller
Kürze angedeutet werden, warum auch Amor und seine Gefolgschaft von
Eroten den spiritelli brüderlich verwandt scheinen.
Die Verbindung resultiert letztlich aus Platos einflußreicher Bestimmung
Amors als eines Dämons und der Zuweisung von Aufgaben und Einfluß-
sphären, die bei anderen Autoren in den Bereich des (guten und schlechten)
Genius fallen. Ficino faßt in seinem Kommentar zum Symposion die Lehre
präzise zusammen:
Die beiden Veneres jedoch und die beiden Amores befinden sich nicht nur
in der Weltseele, sondern auch in den Seelen der Sphären, der Gestirne,
144 Alberti, Momus, 26f.: »Est apud superos sacer aeterno ab aevo ductus focus |.. .|
Isthoc sacro ex foco hausta flammula ad summum frontis verticem quibusque deoruni ilki-
cet, atque ea quidem in diis hanc habet vim, ut ea conspicui in quas velint rerum formas sese
queant ex arbitrio vertere«, vgl. 264 f.
162 III. Donatellos Putten