schon zu diesem frühen Zeitpunkt ohne weitere Erläuterungen bekannte -
Statue des Polyklet als Beispiel für regula und mensura directiua dienen.-37
Und um die Mitte des Jahrhunderts hatte das Geheimnis des Werks, d. h. der
unbekannte Proportions-Kanon, Eingang in die Liebesdichtung gefunden:
»’n segreto/qual fu la statua di quel Pulicreto«.238 Eine kurze, um 1442 nie-
dergeschriebene Passage im Speculum physionomie des Paduaner Arztes
Michele Savonarola faßt das zeitgenössische, aus Galen gewonnene Spe-
zialwissen zusammen:
Die Bildhauer jedoch, die mehr Sorgfalt auf alle Arten von Abmessungen
verwenden |als die Maler], und immer mit Zirkel und Winkelmaß
zugange sind, |...| orientieren sich insbesondere am | ausgewogenen]
Mittelmaß und diesen Abmessungen, weshalb |auch| die Bildwerke des
Polyklet sich dergestalt nach diesen wohlgefälligen Proportionen richten,
daß wir aus den mittleren Maßen von jenem | Polyklet | keinen geringen
Erkenntnisgewinn über die Proportionen an sich erlangen würden.239
Die konkreten Maßangaben des Doryphoros waren jedoch unwiederbring-
lich verloren. Und die bekannten Ausführungen Vitruvs zu den Abmessun-
gen des menschlichen Körpers, die sich möglicherweise als Reflex dieses
Kanon verstehen lassen, werden im Quattrocento an keiner Stelle direkt mit
Polyklet in Beziehung gebracht.240 Ein verstärktes Interesse an den klassi-
schen Proportionen ist ab den 1420er Jahren zu konstatieren. Ghiberti
scheint den Entwurf der Stephanus-Sratuc für Orsanmichele, welcher noch
dem trccentesken, von Ccnnino Ccnnini überlieferten Schema des mensch-
lichen Körpers folgt, in der Ausführung zugunsten der Vitruvianischen Vor-
’• gaben abgeändert zu haben.241 In seinen Commentarii sollte er sich dann
j wie auch Alberti in De Statua um die theoretische Festlegung der mensch-
i liehen Idealproportionen bemühen. Daß beide Autoren ihr Vorhaben als
24 Siche App. C, 3; dazu auch Marie-Therese d’ Alverny, «Pietro d’Abano traducteur
de Galien«, in: Medioevo, 11 (1985), 19-64.
23s Siehe App. C, 10.
249 Für den lateinischen Text s. App. C, 39. - Dazu Vescovini I 993, 347-360; Johan-
nes Thomann, Studien zum »Speculum physionomie» des Michele Savonarola, Zürich 1997.
240 Vitruv, De architectura, III, 1, 2ff. - Dazu Bruno Reudenbach, «In mensuram
humani corporis. Zur Herkunft der Auslegung und Illustration von Vitruv III 1 im 15. und
16. Jahrhundert«, in: Text und Bild, hg. Christel Meier und Uwe Ruberg, Wiesbaden 1980,
651-688; Frank Zöllner, Vitruvs Proportioiisfigur. Quellenkritische Studien zur Kunstlite-
ratur des 15. und 16. Jahrhunderts, Worms 1987.
241 Alle nachträglich an Statuen angelegten Untersuchungen zur Proportion sind noto-
risch schwierig. So besteht auch für Ghibertis Verfahren keine Einigkeit, allein so viel scheint
klar, daß er seinen Proportionskanon in diesen Jahren änderte: Diane Finiello Zervas, »Ghi-
berti’s St. Matthew ensemble at Orsanmichele: symbolism in proportion«, in: Art Bulletin,
58 (1 976), 36-44; Piero Morselli, »The proportions of Ghiberti’s Saint Stephen: Vitruvius’s
De Architectura and Alberti’s De Statua«, in: Art Bulletin, 60 (1978), 235-241.
416 VI. Donatellos Bronze-David als neuer Kanon
Statue des Polyklet als Beispiel für regula und mensura directiua dienen.-37
Und um die Mitte des Jahrhunderts hatte das Geheimnis des Werks, d. h. der
unbekannte Proportions-Kanon, Eingang in die Liebesdichtung gefunden:
»’n segreto/qual fu la statua di quel Pulicreto«.238 Eine kurze, um 1442 nie-
dergeschriebene Passage im Speculum physionomie des Paduaner Arztes
Michele Savonarola faßt das zeitgenössische, aus Galen gewonnene Spe-
zialwissen zusammen:
Die Bildhauer jedoch, die mehr Sorgfalt auf alle Arten von Abmessungen
verwenden |als die Maler], und immer mit Zirkel und Winkelmaß
zugange sind, |...| orientieren sich insbesondere am | ausgewogenen]
Mittelmaß und diesen Abmessungen, weshalb |auch| die Bildwerke des
Polyklet sich dergestalt nach diesen wohlgefälligen Proportionen richten,
daß wir aus den mittleren Maßen von jenem | Polyklet | keinen geringen
Erkenntnisgewinn über die Proportionen an sich erlangen würden.239
Die konkreten Maßangaben des Doryphoros waren jedoch unwiederbring-
lich verloren. Und die bekannten Ausführungen Vitruvs zu den Abmessun-
gen des menschlichen Körpers, die sich möglicherweise als Reflex dieses
Kanon verstehen lassen, werden im Quattrocento an keiner Stelle direkt mit
Polyklet in Beziehung gebracht.240 Ein verstärktes Interesse an den klassi-
schen Proportionen ist ab den 1420er Jahren zu konstatieren. Ghiberti
scheint den Entwurf der Stephanus-Sratuc für Orsanmichele, welcher noch
dem trccentesken, von Ccnnino Ccnnini überlieferten Schema des mensch-
lichen Körpers folgt, in der Ausführung zugunsten der Vitruvianischen Vor-
’• gaben abgeändert zu haben.241 In seinen Commentarii sollte er sich dann
j wie auch Alberti in De Statua um die theoretische Festlegung der mensch-
i liehen Idealproportionen bemühen. Daß beide Autoren ihr Vorhaben als
24 Siche App. C, 3; dazu auch Marie-Therese d’ Alverny, «Pietro d’Abano traducteur
de Galien«, in: Medioevo, 11 (1985), 19-64.
23s Siehe App. C, 10.
249 Für den lateinischen Text s. App. C, 39. - Dazu Vescovini I 993, 347-360; Johan-
nes Thomann, Studien zum »Speculum physionomie» des Michele Savonarola, Zürich 1997.
240 Vitruv, De architectura, III, 1, 2ff. - Dazu Bruno Reudenbach, «In mensuram
humani corporis. Zur Herkunft der Auslegung und Illustration von Vitruv III 1 im 15. und
16. Jahrhundert«, in: Text und Bild, hg. Christel Meier und Uwe Ruberg, Wiesbaden 1980,
651-688; Frank Zöllner, Vitruvs Proportioiisfigur. Quellenkritische Studien zur Kunstlite-
ratur des 15. und 16. Jahrhunderts, Worms 1987.
241 Alle nachträglich an Statuen angelegten Untersuchungen zur Proportion sind noto-
risch schwierig. So besteht auch für Ghibertis Verfahren keine Einigkeit, allein so viel scheint
klar, daß er seinen Proportionskanon in diesen Jahren änderte: Diane Finiello Zervas, »Ghi-
berti’s St. Matthew ensemble at Orsanmichele: symbolism in proportion«, in: Art Bulletin,
58 (1 976), 36-44; Piero Morselli, »The proportions of Ghiberti’s Saint Stephen: Vitruvius’s
De Architectura and Alberti’s De Statua«, in: Art Bulletin, 60 (1978), 235-241.
416 VI. Donatellos Bronze-David als neuer Kanon