II. Die Behandlung der übernommenen Texte
Die Feststellungen, wie Placidus die Autoritätenbelege für seine Schrift beschaffte, verhelfen
nicht nur zu einer Einschätzung des Zusammenhanges zwischen seiner Arbeitsweise und
Argumentation, sondern eröffnen auch Einblick in die Haltung, die der Autor gegenüber den
von ihm ausgewählten Exzerpten einnahm. Nach den Vergleichen mit den nachweisbaren
beziehungsweise den anzunehmenden Vorlagen kann Placidus bescheinigt werden, daß er sich
überwiegend treu an den vorgegebenen Text gehalten hat. Dennoch scheute er sich nicht, in
bestimmten Fällen stillschweigend in die übernommenen Texte einzugreifen. Seine Haltung ist
der Burchards von Worms vergleichbar, der in der Widmungsepistel an Brunicho erklärte, es
ginge ihm um das Sammeln, nicht um das Erstellen von Rechtssätzen, und der trotz dieser
Versicherung dann in nicht unerheblichem Maße in das übernommene Material eingriff1.
Placidus hingegen, der sich im Prolog seiner Schrift eine strenge Scheidung zwischen den
zitierten Autoritäten und den eigenen Erörterungen auferlegte2, gab dabei eine Erklärung ab,
die er zwar nicht auf seine stillschweigenden Texteingriffe bezog, die aber dennoch geeignet
ist, diese bei analoger Anwendung verständlich zu machen. Die Absicht, das Seine nur den
Worten, nicht aber dem Sinn nach hinzuzufügen3, läßt nämlich erkennen, daß der Autor seine
Aufgabe darin sah, zur Einordnung und zur Verdeutlichung der zitierten Autoritäten im
Hinblick auf die angestrebte Darlegung beizutragen. Dieses Bestreben, das Placidus ausdrück-
lich nur auf seine Ex ratione-Stellen bezog, läßt sich aber bei der Mehrzahl der offensichtlichen
Texteingriffe feststellen. Diese Aussage kann jedoch nur für die Abweichungen von den zur
Verfügung stehenden Vorlagen gelten, die einen deutlichen Bezug zur Argumentation aufwei-
sen. Bei der überwiegenden Zahl von Abweichungen, für die ein solcher Zusammenhang nicht
gegeben ist, dürfte es sich um Verschreibungen handeln, die, wenn nicht schon dem Autor, so
doch mit Sicherheit den späteren Kopisten unterliefen4.
Die meisten offensichtlichen Eingriffe ergaben sich für Placidus aus der Notwendigkeit,
die ausgewählten Exzerpte, die er aus ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang herauslöste,
in den neuen Kontext des Traktates einzubinden. Ihre Einbindung nahm der Autor überwie-
gend durch seine eigenen Rubriken und Überleitungstexte vor5. Damit entfiel auch weitge-
hend die Notwendigkeit, die Unterbrechung von Textübernahmen mit Einschüben wie post
pauca und et infra anzugeben, wie es Anselm von Lucca und Deusdedit taten. Von diesem
1 BD, Widmungsepistel (im bereinigten Text der Edition von 1549 = PL 140,540A): ... mihi soli canones
facere non licet, colligere licitum est; zur Sache vgl. Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, S. 449.
2 LdHE, Prolog, Ldl 2,568f.,42-2: ... ego ... sententias sanctorum patrum colligere studens libellum ...
edidi ...; ebd., S. 569,28f.: Ex quo autem doctore verba protulimus, eius et nomen et librum deforis
annotavimus. und ebd., Z. 29f.: Nostra vero ... ex ratione signavimus.
3 LdHE, Prolog, Ldl 2,569,26 ff.: ... ubi lustum visum est, bis sacratissimis verbis (i. e. testimoniis biblicis
et dictis patrum - Anm. d. Verf.) ... etiam nostri aliquid verbo dumtaxat, non sensu addere studuimus.
4 Zur Verdeutlichung sei auf die Feststellungen zu den dionysischen Materialien (s. o. S. 129, Anm. 13),
zu der Ambrosius-Reihe (s. o. S. 167f., Anm. 25 und 32f.), zu den Enarrationes-Zitaten LdHE 2f. (s. o.
S. 173, Anm. 67) und den Exzerpten aus Gregors I. Homilien (s. o. S. 180, Anm. 109f.) verwiesen.
5 Von den Rubriken im LdHE entstammen nur sieben in der vorliegenden Form aus der jeweils
benutzten Vorlage; s. o. S. 68.
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Die Feststellungen, wie Placidus die Autoritätenbelege für seine Schrift beschaffte, verhelfen
nicht nur zu einer Einschätzung des Zusammenhanges zwischen seiner Arbeitsweise und
Argumentation, sondern eröffnen auch Einblick in die Haltung, die der Autor gegenüber den
von ihm ausgewählten Exzerpten einnahm. Nach den Vergleichen mit den nachweisbaren
beziehungsweise den anzunehmenden Vorlagen kann Placidus bescheinigt werden, daß er sich
überwiegend treu an den vorgegebenen Text gehalten hat. Dennoch scheute er sich nicht, in
bestimmten Fällen stillschweigend in die übernommenen Texte einzugreifen. Seine Haltung ist
der Burchards von Worms vergleichbar, der in der Widmungsepistel an Brunicho erklärte, es
ginge ihm um das Sammeln, nicht um das Erstellen von Rechtssätzen, und der trotz dieser
Versicherung dann in nicht unerheblichem Maße in das übernommene Material eingriff1.
Placidus hingegen, der sich im Prolog seiner Schrift eine strenge Scheidung zwischen den
zitierten Autoritäten und den eigenen Erörterungen auferlegte2, gab dabei eine Erklärung ab,
die er zwar nicht auf seine stillschweigenden Texteingriffe bezog, die aber dennoch geeignet
ist, diese bei analoger Anwendung verständlich zu machen. Die Absicht, das Seine nur den
Worten, nicht aber dem Sinn nach hinzuzufügen3, läßt nämlich erkennen, daß der Autor seine
Aufgabe darin sah, zur Einordnung und zur Verdeutlichung der zitierten Autoritäten im
Hinblick auf die angestrebte Darlegung beizutragen. Dieses Bestreben, das Placidus ausdrück-
lich nur auf seine Ex ratione-Stellen bezog, läßt sich aber bei der Mehrzahl der offensichtlichen
Texteingriffe feststellen. Diese Aussage kann jedoch nur für die Abweichungen von den zur
Verfügung stehenden Vorlagen gelten, die einen deutlichen Bezug zur Argumentation aufwei-
sen. Bei der überwiegenden Zahl von Abweichungen, für die ein solcher Zusammenhang nicht
gegeben ist, dürfte es sich um Verschreibungen handeln, die, wenn nicht schon dem Autor, so
doch mit Sicherheit den späteren Kopisten unterliefen4.
Die meisten offensichtlichen Eingriffe ergaben sich für Placidus aus der Notwendigkeit,
die ausgewählten Exzerpte, die er aus ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang herauslöste,
in den neuen Kontext des Traktates einzubinden. Ihre Einbindung nahm der Autor überwie-
gend durch seine eigenen Rubriken und Überleitungstexte vor5. Damit entfiel auch weitge-
hend die Notwendigkeit, die Unterbrechung von Textübernahmen mit Einschüben wie post
pauca und et infra anzugeben, wie es Anselm von Lucca und Deusdedit taten. Von diesem
1 BD, Widmungsepistel (im bereinigten Text der Edition von 1549 = PL 140,540A): ... mihi soli canones
facere non licet, colligere licitum est; zur Sache vgl. Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, S. 449.
2 LdHE, Prolog, Ldl 2,568f.,42-2: ... ego ... sententias sanctorum patrum colligere studens libellum ...
edidi ...; ebd., S. 569,28f.: Ex quo autem doctore verba protulimus, eius et nomen et librum deforis
annotavimus. und ebd., Z. 29f.: Nostra vero ... ex ratione signavimus.
3 LdHE, Prolog, Ldl 2,569,26 ff.: ... ubi lustum visum est, bis sacratissimis verbis (i. e. testimoniis biblicis
et dictis patrum - Anm. d. Verf.) ... etiam nostri aliquid verbo dumtaxat, non sensu addere studuimus.
4 Zur Verdeutlichung sei auf die Feststellungen zu den dionysischen Materialien (s. o. S. 129, Anm. 13),
zu der Ambrosius-Reihe (s. o. S. 167f., Anm. 25 und 32f.), zu den Enarrationes-Zitaten LdHE 2f. (s. o.
S. 173, Anm. 67) und den Exzerpten aus Gregors I. Homilien (s. o. S. 180, Anm. 109f.) verwiesen.
5 Von den Rubriken im LdHE entstammen nur sieben in der vorliegenden Form aus der jeweils
benutzten Vorlage; s. o. S. 68.
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