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Busch, Jörg W.
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 5): Der Liber de honore ecclesiae des Placidus von Nonantola: eine kanonistische Problemerörterung aus dem Jahre 1111 ; die Arbeitsweise ihres Autors und seine Vorlagen — Sigmaringen: Thorbecke, 1990

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73976#0236
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in der Kirche anzuhalten. In der Folge aber habe es sich in sein Gegenteil verkehrt und müsse -
wiederum zum Wohle der Kirche - zurückgenommen werden. Im Zuge dieser Darlegung
betonte der Autor, daß auch die Befugnis des Papstes, nicht ausdrücklich von der Tradition
normierte Sachverhalte gesetzgeberisch zu regeln, nur unter den Vorgaben wahrgenommen
werden dürfe, die sich aus der biblischen, apostolischen und patristischen Tradition ergäben59.
Dabei steuerte Placidus über die grundsätzliche Anerkennung einer deutlich eingeengten
päpstlichen Gesetzgebungskompetenz hinaus den Gedanken einer letztlich konziliaren Kon-
trolle der Orthodoxie bei. Diese Tendenz, die sich bereits bei seiner Behandlung der
römischen Synodalakte von 502 zeigte60, belegt, wie wenig zutreffend die schlagwortartige
Einordnung des Autors als »Gregorianer« ist, wenn darunter ein die Amtsauffassung Gregors
VII. verteidigender Reformanhänger verstanden werden soll61. Gegenüber der Behandlung der
Apostelkanones in der Zweitfassung des Traktates stellt die des Hadrianums eine bewußte
Auseinandersetzung mit einer kirchlichen Rechtssetzung dar, die weit über den Rahmen der
hier darzustellenden Texteingriffe des Placidus hinausgeht.
Das stets vergleichend berücksichtigte Nonantolaner Fragment Vat. Lat. 10.80262, das mit
Ausnahme von Bibelstellen keine materiellen Übereinstimmungen mit dem Traktat aufweisen
konnte63, bietet hinsichtlich der Textbehandlung neben der wortgetreuen Wiedergabe von
Exzerpten aus solchen Falschen Dekretalen, die Placidus nicht zitierte, Paraphrasen von
Väterstellen64. Ob damit ein kennzeichnender Unterschied zum Traktat vorliegt, dessen
Väterstellen überwiegend im Wortlaut wiedergegeben wurden, kann auf Grund des geringen
Umfanges des Fragmentes nicht beurteilt werden. Diese Einschätzungsschwierigkeit besteht
auch hinsichtlich der Vorgehensweise des Fragmentautors bei der Beschaffung seiner Argu-
mentationsbelege. Soweit die überlieferte knappe Textpartie überhaupt eine solche Aussage
zuläßt, deutet sich jedoch eine Einbindung der Belegstellen unter den Erfordernissen der
Argumentation an, die von der vorlagenbedingten Gliederung der Erörterungen des Placidus
abweicht. In der Zusammenschau aller bisher angeführten, auch inhaltlichen Indizien kann
davon ausgegangen werden, daß das Fragment Vat. Lat. 10.802 nicht als Teil des Traktates
konzipiert war.
III. Die Bedeutung der benutzten Vorlagen für die Argumentation
Die Abhängigkeiten, die zwischen der Arbeitsweise des Placidus und seiner Argumentation
aufgezeigt werden können, führen zu der abschließenden Frage, ob die von ihm für sein
Beleggerüst herangezogenen Kanonessammlungen, Einzeltexte und Väterwerke seine Erörte-
rungen schon vorab in eine bestimmte Richtung lenkten. Mit dieser Frage ist an die

59 Vgl. dazu vor allem die durch die Dreibüchersammlung rezipierten Stellen LdHE 69f. (136ff.) sowie
die den Mittelteil beschließenden Erörterungen von LdHE 117 ff., Ldl 2,622-626.

60 S. o. Anm. 47 mit weiteren Belegen.

61 Diese bereits vor ihm gewonnene Einschätzung bestätigte Cantarella, vor allem S. 138ff. und
418-422, bei der Behandlung der Novae Heges-Problematik.

62 S. o. S. 19 und 40.

63 S. o. S. 56f.

64 Zu der ohne kennzeichnende Texteingriffe vorgenommenen Übernahme von Exzerpten aus einem
Ps.Isidor-Kodex der Klasse A 2, der auch die Auszüge des Placidus zuzurechnen sind, s. o. S. 149ff. sowie
zu den Verweisen auf die Väterliteratur S. 189f.

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