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Der Reichtum der Quellen

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Krusch vermutete19, aus einer anderen handschriftlichen Vorlage ergänzt wurde.
Es gibt folglich keinen Beleg für eine merowingische Vorlage, die neben der Lex
Salica alle sechs Texte umfasst hätte.
Dieser Befund öffnet den Weg für eine neue Betrachtung der Vielfalt der
Textentwicklung im 6. Jahrhundert. Die Handschriften, obwohl erst seit der Zeit
um 800 entstanden, bieten nämlich einen bemerkenswerten Einblick in die
Textkombinationen, die aus merowingischer Zeit erhalten waren. Insgesamt
sind fünf verschiedene Dossiers von Zusatztexten erhalten:
1. Die Handschrift München, lat. 4115 (A3) bezeugt eine Kombination von Lex
Salica und Pactus.2°
2. Das Titelverzeichnis von Al belegt eine Kombination von Lex Salica, Capi-
tulare tertium und Edictus. Dieses Dossier erscheint ebenfalls an zwei Stellen
in K17.21
3. Der Epilog setzt die Abfolge von Lex Salica, Capitulare primurn und Pactus
voraus.22 Dieses Dossier scheint die Grundlage für eine Büchereinteilung
gebildet zu haben, die zeitgleich mit dem Epilog entstanden ist (d. h. noch im
6. Jahrhundert). Diese Bucheinteilung ist in unterschiedlicher Form in A2
(Wolfenbüttel, Weißenb. 97) und K17 zu fassen.
4. Das Dossier Nr. 3 wurde später durch die Decretio ergänzt. In dieser Form ist
es in K17 und in Al nachweisbar.23
5. A2 ergänzt das Dossier Nr. 3 durch eine Auswahl einzelner Bestimmungen
aus dem Capitulare tertium.
Anders als Eckhardt glaubte, kursierte im Merowingerreich demnach nicht eine
einzige Fassung der Lex Salica, die von einer zentralen Stelle an die aktuelle
Entwicklung in der Gesetzgebung angepasst worden wäre. Dies wäre auch er-
staunlich, bedenkt man die instabile politische Situation nach dem Tod Chlod-
wigs, als das Frankenreich immer wieder in neue, miteinander eng verzahnte
Teilreiche aufgeteilt wurde. Die handschriftliche Überlieferung spiegelt diese
Instabilität wider. Sie lässt aber auch erkennen, dass der Text der Lex Salica
keineswegs ein toter Buchstabe geblieben ist. Vielmehr sind trotz der ungüns-
tigen Überlieferungslage noch fünf Kombinationen von Rechtstext und Zu-
satztexten erkennbar, die von der kontinuierlichen Arbeit an der Tradition der
Lex Salica zeugen.
Die Ablehnung von Eckhardts Rekonstruktion ermöglicht darüber hinaus
noch eine weitere Folgerung. Da es keine merowingische Fassung gibt, die alle
Zusatztexte enthält, ist somit die artifizielle Abfolge von Capitulare primurn,

19 Krusch, Neue Forschungen, S. 180-188. Zur Handschrift vgl. Mordek, Bibliotheca, S. 456-463;
Glatthaar, Rechtsbuch.

20 Der Pactus wird im Titelverzeichnis als Teil der Lex Salica mitgezählt: Lex Salica (A3), S. 14.

21 Lex Salica (A1K17), S. 16.

22 So die überzeugende Argumentation von Eckhardt, Einführung, S. 147-150.

23 K17: Leiden, Voss. Lat. Q. 119, fol. 85v-88v; Al: Paris, lat. 4404, fol. 227va-232va. Die Bücherein-
teilung scheint dabei in Al nicht übernommen worden zu sein. Beide Versionen gehören von der
Textüberlieferung „aufs engste zusammen": Eckhardt, Einführung, S. 139; Mordek, Bibliotheca,
S. 461 (zustimmend).
 
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