Litteraturbericht.
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lebte, noch einmal zu sehen. Eine solche Reise von Berlin nach Danzig war
damals kein so leichtes Unternehmen; was man heute in wenigen Stunden
auf der Eisenschiene vollbringt, dazu waren mehrere Tage erforderlich. Der
reisende Künstler führte zwei Bücher mit sich, in das eine schrieb er seine
Erlebnisse ein, in das andere zeichnete er mit geübter Hand Alles, was ihm
auffiel — und es fiel ihm Vieles auf — mit Blei oder Feder; manches darunter
führte er dann in ruhigen Stunden mit Tusch fleissig aus, so dass vollendete
Bildchen entstanden. Das geschriebene Tagebuch existirt noch und befindet
sich im Besitz einer Urenkelin des Künstlers, der Frau Sanitätsrath Dr. Rosen-
berger in Kosen, wo es der Auferstehung durch den Druck harrt. Das
Skizzenbuch kam durch Schenkung aus Privatbesitz 1865 in den Besitz der
Berliner Akademie. Es war ganz gut, dass nicht damals schon der allgemeine
Wunsch ihrer Veröffentlichung realisirt wurde; die gewöhnliche Photographie
war nicht im Stande, die Originale auf eine ihrer würdige Weise zu repro-
duciren. Der Lichtdruck unserer Tage ist ganz dazu geschaffen, die zartesten
Zeichnungen so treu wiederzugeben, dass nicht der leiseste Hauch von ihrem
Charakter verloren geht. Man kann diese Reproductionen keck neben die
Originale legen und wird von der frappanten Gleichheit beider überzeugt.
Diesen Schatz der Akademie hat die rührige Firma Amsler und Ruthardt
(Meder) in Berlin durch trefflichen Lichtdruck aus der Anstalt des A. Frisch
gehoben und zu einem Gemeingut echter Kunstfreunde gemacht. Es ist das
ganze Skizzenbuch (100 Darstellungen) facsimilirt; ein treffliches Portrait des
Meisters nach dem Bilde von J. G. Frisch ziert die Enveloppe. Wie uns der
Künstler in diesen Zeichnungen überall als vorzüglicher, fertiger Zeichner und
Charakterdarsteller entgegentritt und oft mit einer Feinheit und Delikatesse
verfährt, die selbst in seinen besten Radirungen nicht immer in solcher Vollen-
dung wahrzunehmen ist, so hat er uns zugleich ein reiches Material für die
deutsche Cultur- und Sittengeschichte des verflossenen Jahrhunderts zugeführt.
Wir geben nach Durchsicht der Bilder dem Verfasser der Vorrede vollkommen
Recht, wenn er schreibt: »Das Leben auf der Landstrasse und in den Wirths
häusern, der Verkehr und das Treiben auf den Strassen Danzigs, die vor-
nehme Welt in den Patrizier- und Adelshäusern, das anspruchslose Behagen
in den bürgerlichen Familien, das stille Glück befriedigter Häuslichkeit: Alles
das ist von einer liebenswürdigen Lebendigkeit, von einer naturwahren Frische
und Echtheit, wie wir sie auf sehr wenigen Darstellungen zeitgenössischer
Künstler wiederfmden.« Notizen, die die einzelnen Darstellungen kurz erklären
und dem Tagebuche entlehnt sind, tragen viel zum Verständniss bei. Einzelnes
aus dem Skizzenbuche hervorzuheben, ist hier nicht möglich. Wer das erste
köstliche Blatt mif dem Abschied des Künstlers von seiner Familie angesehen
hat, wird nicht ruhen, bis er Alles durchgemustert und bewundert hat. Die
Publication war drei Wochen nach dem Erscheinen total vergriffen und wurde
sogleich eine zweite Auflage in Angriff genommen, ein Beweis für ihre Vor-
züglichkeit wie für die Thatsache, dass der alte Chodowiecki auch noch in
unseren Tagen verstanden und geschätzt wird. Wessely.
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lebte, noch einmal zu sehen. Eine solche Reise von Berlin nach Danzig war
damals kein so leichtes Unternehmen; was man heute in wenigen Stunden
auf der Eisenschiene vollbringt, dazu waren mehrere Tage erforderlich. Der
reisende Künstler führte zwei Bücher mit sich, in das eine schrieb er seine
Erlebnisse ein, in das andere zeichnete er mit geübter Hand Alles, was ihm
auffiel — und es fiel ihm Vieles auf — mit Blei oder Feder; manches darunter
führte er dann in ruhigen Stunden mit Tusch fleissig aus, so dass vollendete
Bildchen entstanden. Das geschriebene Tagebuch existirt noch und befindet
sich im Besitz einer Urenkelin des Künstlers, der Frau Sanitätsrath Dr. Rosen-
berger in Kosen, wo es der Auferstehung durch den Druck harrt. Das
Skizzenbuch kam durch Schenkung aus Privatbesitz 1865 in den Besitz der
Berliner Akademie. Es war ganz gut, dass nicht damals schon der allgemeine
Wunsch ihrer Veröffentlichung realisirt wurde; die gewöhnliche Photographie
war nicht im Stande, die Originale auf eine ihrer würdige Weise zu repro-
duciren. Der Lichtdruck unserer Tage ist ganz dazu geschaffen, die zartesten
Zeichnungen so treu wiederzugeben, dass nicht der leiseste Hauch von ihrem
Charakter verloren geht. Man kann diese Reproductionen keck neben die
Originale legen und wird von der frappanten Gleichheit beider überzeugt.
Diesen Schatz der Akademie hat die rührige Firma Amsler und Ruthardt
(Meder) in Berlin durch trefflichen Lichtdruck aus der Anstalt des A. Frisch
gehoben und zu einem Gemeingut echter Kunstfreunde gemacht. Es ist das
ganze Skizzenbuch (100 Darstellungen) facsimilirt; ein treffliches Portrait des
Meisters nach dem Bilde von J. G. Frisch ziert die Enveloppe. Wie uns der
Künstler in diesen Zeichnungen überall als vorzüglicher, fertiger Zeichner und
Charakterdarsteller entgegentritt und oft mit einer Feinheit und Delikatesse
verfährt, die selbst in seinen besten Radirungen nicht immer in solcher Vollen-
dung wahrzunehmen ist, so hat er uns zugleich ein reiches Material für die
deutsche Cultur- und Sittengeschichte des verflossenen Jahrhunderts zugeführt.
Wir geben nach Durchsicht der Bilder dem Verfasser der Vorrede vollkommen
Recht, wenn er schreibt: »Das Leben auf der Landstrasse und in den Wirths
häusern, der Verkehr und das Treiben auf den Strassen Danzigs, die vor-
nehme Welt in den Patrizier- und Adelshäusern, das anspruchslose Behagen
in den bürgerlichen Familien, das stille Glück befriedigter Häuslichkeit: Alles
das ist von einer liebenswürdigen Lebendigkeit, von einer naturwahren Frische
und Echtheit, wie wir sie auf sehr wenigen Darstellungen zeitgenössischer
Künstler wiederfmden.« Notizen, die die einzelnen Darstellungen kurz erklären
und dem Tagebuche entlehnt sind, tragen viel zum Verständniss bei. Einzelnes
aus dem Skizzenbuche hervorzuheben, ist hier nicht möglich. Wer das erste
köstliche Blatt mif dem Abschied des Künstlers von seiner Familie angesehen
hat, wird nicht ruhen, bis er Alles durchgemustert und bewundert hat. Die
Publication war drei Wochen nach dem Erscheinen total vergriffen und wurde
sogleich eine zweite Auflage in Angriff genommen, ein Beweis für ihre Vor-
züglichkeit wie für die Thatsache, dass der alte Chodowiecki auch noch in
unseren Tagen verstanden und geschätzt wird. Wessely.