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Ritter, Stefan; Rummel, Philipp; Becker, Thomas; Ganschow, Thomas; Godbillon, Isabelle; Großmann, Sonja; Herb, Christiane; Kalogeroudi, Eleni; Meyr, Martina
Archäologische Untersuchungen zur Siedlungsgeschichte von Thugga: die Ausgrabungen südlich der Maison du Trifolium 2001-2003 — Thvgga, Band 3: Wiesbaden, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.42449#0016
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12

Einleitung

der Stelle der einstigen Stadt bestand noch bis 1962 ein be-
scheidenes Dorf fort.
Der heutige Ruinenbestand wurde größtenteils in den Jahr-
zehnten nach 1891 unter französischer Ägide freigelegt6 7. Das
wissenschaftliche Interesse konzentrierte sich von Anfang an
ganz auf die Inschriften; ansonsten ging es allein darum, mo-
numentale und wohlerhaltene kaiserzeitliche Bauten möglichst
rasch auszugraben. Auf diese Weise entstand eine prachtvolle
Ruinenstätte, doch dieses beeindruckende Ergebnis hatte sei-
nen Preis: Bei den rasanten Freilegungen wurden alle späteren
Schichten einschließlich zahlloser Funde ohne Dokumentation
abgetragen, während man die früheren Schichten, für die man
sich ebensowenig interessierte, unberührt ließ. Dies hatte zur
Folge, dass die urbanistische Entwicklung Thuggas bislang nur
sehr ausschnitthaft bekannt ist. Die heute sichtbaren Bauten
und Monumente entstanden fast ausschließlich erst im 2. und
3. Jh. n. Chr. und vermitteln lediglich einen Eindruck davon,
wie Thugga in der späteren Kaiserzeit aussah; die Zeugnisse
aller früherer Epochen liegen unter den kaiserzeitlichen Fuß-
böden und Straßen versiegelt.
Nachdem 1974 das internationale, unter dem Patronat der
UNESCO durchgeführte Forschungsprogramm zur Rettung
Karthagos ins Leben gerufen worden war, erfuhr die archäo-
logische Erforschung der Africa Proconsularis insgesamt einen
bemerkenswerten Aufschwung, der dann in den 1990er Jahren
schließlich auch Thugga erreichte.
Die in den letzten Jahrzehnten in Tunesien durchgeführten
internationalen Forschungsprojekte lassen drei klare Interes-
senschwerpunkte erkennen: erstens regional eine starke Kon-
zentration auf die Küstengebiete; zweitens zeitlich eine Fixie-
rung auf einzelne Perioden, insbesondere die spätere Kaiserzeit
und die Spätantike; und drittens methodisch eine Bevorzugung
von Surveys zur Erkundung ländlicher Siedlungsräume . Mit
diesen Präferenzen hängt es zusammen, dass andere Fragen, na-
mentlich der Stadtforschung, im Hintergrund blieben. Regio-
nal fehlt es an Studien, die darauf zielen, Sonderentwicklun-
gen im Binnenland, im Gegensatz zu den vergleichsweise gut
erforschten Küstenregionen, zu erfassen. Während Epochen
wie die spätere Kaiserzeit und die Spätantike recht gut bekannt
sind, liegen andere Epochen noch weitgehend im Dunkel: Ar-
chäologische Untersuchungen zu langfristigen urbanistischen
Entwicklungen wurden bisher nur im Rahmen des UNESCO-
Programmes in Karthago (insbesondere im Rahmen der Gra-
bungen des Deutschen Archäologischen Instituts) unternom-
men und stellen andernorts ein Desiderat dar8. Und vor allem
gibt es immer noch nur wenige stratigraphische Grabungen,
die zeitlich fixiertes Fundmaterial aus geschlossenen Befunden

6 Hierzu ausführlich s. Leschke 2002, 31-53; Saint-Amans 2004, 17-22.
7 Hierzu s. die Forschungsüberblicke bei Martingly — Hirchner 1995 und
Crawley Quinn 2003.
8 s. hierzu Mattingly — Hirchner 1995, 186: „A weakness of most current
archaeology in Africa is that it is driven by research goals that are too period- or
monument-specific, impeding understanding of the long duree of urban life
in Africa [...]. Greater attention thus needs to be devoted to the long-term se-
quence of activity rather than to the elucidation of a particular structure [...]“.

liefern und für regionale und überregionale Vergleichsstudien
verfügbar machen9.
Im Zuge dieser Forschungsaktivitäten geriet auch Thugga in
den Fokus des Interesses, was seinen markanten Niederschlag
darin fand, dass die Stadt 1997 in die Liste des Weltkulturer-
bes der UNESCO aufgenommen wurde. In den 1990er Jahren
wurden in Thugga und seinem Umland mehrere internationale
Forschungsprojekte in Kooperation zwischen dem tunesischen
Institut National du Patrimoine (INP) und verschiedenen euro-
päischen Universitäten durchgeführt. Hierzu zählen zwei For-
schungsprogramme der Universite Bordeaux, das eine zu den
etwa 2000 lateinischen Inschriften aus Thugga10, das andere zur
Dokumentation ausgewählter Heiligtümer11. Im Rahmen eines
Projektes der Universitä di Trento wurden mehrere Surveys zur
Erforschung des ländlichen Umlandes der Stadt durchgeführt12.
Und in diesem Kontext begann auch die Zusammenarbeit zwi-
schen dem INP und der Universität Freiburg.
Um die archäologische Erforschung Thuggas voranzutreiben,
wurde 1995 unter Leitung von V. M. Strocka und M. Khanoussi
ein auf fünf Jahre angelegtes Kooperationsprojekt zwischen dem
Archäologischen Institut der Universität Freiburg und dem INP
ins Leben gerufen. Ziel war es vor allem, einige bekannte, aber
unpublizierte kaiserzeitliche Bauten und Baukomplexe erstmals
zu dokumentieren und dabei auch mittels einzelner Sondagen
Aufschluss über ihre Geschichte zu erhalten13.
Im Rahmen dieser Untersuchungen fand die alte These, die
vorrömische Siedlung habe abseits der kaiserzeitlichen Stadt
gelegen, keine Bestätigung. In dem großen freien Gelände im
Nordwesten des Thuggenser Stadtberges konnte bisher keine
vorrömische Besiedlung nachgewiesen werden, und die dort
sichtbare Stadtmauer, die zwei vorrömische Türme integriert,
stammt erst aus der Spätantike. Die Frage, ob es sich bei den
Türmen tatsächlich um Grabtürme handelt14 oder um Reste
einer vorrömischen Stadtmauer, muss noch abschließend ge-
klärt werden.
Reste älterer Bauten fanden sich stattdessen bei Sondagen
im Süden der kaiserzeitlichen Wohnstadt. Südlich der Maison
du Trifolium, des bislang größten römischen Wohnhauses in
Thugga, wurde ein kleiner, dreieckiger Wirtschafts-Annex frei-
gelegt, in dessen westlichem Teil vorrömische Siedlungsreste
zutage kamen1'1.
9 So zu Recht Crawley Quinn 2003, 11: „Strategie excavation to comple-
ment the field survey is all too rare on Tunisian projects“.
10 „PETRAE-Thugga“, seit 1993 (Leitung: L. Maurin und M. Khanoussi).
Im Rahmen dieses Programmes sind bislang erschienen: Khanoussi - Maurin
1997; Khanoussi - Maurin 2000; Khanoussi - Maurin 2002.
11 „Architecture religieuse de Thugga“, seit 1998 (Leitung: M. Khanoussi
und J.-Cl. Golvin). Bislang erschienen: Golvin - Khanoussi 2005. In diesem
thematischen Kontext entstand auch die Monographie Saint-Amans 2004.
12 Die Surveys erfolgten zwischen 1994 und 1999. Erste Ergebnisse wurden
publiziert in: de Vos 2000.
13 Untersucht wurden dabei: der oberste, sog. ,numidische‘ Abschnitt der
Stadtmauer, das Forumsgebiet mit dem Kapitol und dem macellum, der Tem-
pel B‘ (dessen gängige Identifizierung mit den inschriftlich bezeugten templa
Concordiae Frugiferi Liberi Patris als problematisch erwiesen wurde) und einige
kaiserzeitliche Wohnhäuser. Erste Ergebnisse wurden publiziert in: Khanoussi
— Strocka 2002; Stutz 2007.
14 Hierzu s. Hiesel — Strocka 2002, 81—86 mit Abb. 3 Taf. 9.
15 Hierzu s. Hiesel — Strocka 2002, 76—81 mit Abb. 1. 2 Taf. 8.
 
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