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Ritter, Stefan; Rummel, Philipp; Becker, Thomas; Ganschow, Thomas; Godbillon, Isabelle; Großmann, Sonja; Herb, Christiane; Kalogeroudi, Eleni; Meyr, Martina
Archäologische Untersuchungen zur Siedlungsgeschichte von Thugga: die Ausgrabungen südlich der Maison du Trifolium 2001-2003 — Thvgga, Band 3: Wiesbaden, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.42449#0068
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Die Befunde

2. DIE BESTATTUNGEN

2.1. Anthropologie der prähistorischen
UND DER SPÄTANTIKEN BESTATTUNGEN
Thomas Becker
Bei den Ausgrabungskampagnen 2001 und 2002 in Thugga
konnten insgesamt zwölf Gräber mit Knochenerhaltung ergra-
ben, dokumentiert und anthropologisch untersucht werden.
Dies stellt für das antike Thugga eine bisher einmalige Situation
dar, da zwar in verschiedenen Grabungen bisher Gräber freige-
legt, diese aber nicht weiter anthropologisch bearbeitet wurden.
Daten zur Lebenserwartung der Thuggenser Bevölkerung konn-
ten bisher lediglich anhand der vorgelegten Grabinschriften mit
Sterbealtersangaben gewonnen werden2'11, deren Aussagekraft al-
lerdings noch zu prüfen sein wird. Die Inschriften verteilen sich
dabei mit 1127 Exemplaren mehrheitlich auf die Kaiserzeit, der
drei Inschriften aus der Spätantike gegenüberstehen256.
Betrachtet man den Bereich des vorgeschichtlichen und anti-
ken Tunesien, so lassen sich zahlreiche Grabungen mit Gräber-
feldern vor allem spätantiker Zeitstellung finden. Außerhalb
von Karthago21" liegen bislang nur für die antiken Plätze Sitifis
(Setif) und Leptiminus (Lamta) weiterhin noch anthropolo-
gisch auswertbare Daten vor258. Die vorliegende Untersuchung
stellt folglich nicht nur für Thugga selbst, sondern auch für das
antike Tunesien eine deutliche Erweiterung der anthropologi-
schen Materialbasis dar.
Spätantike Gräber 1 bis 10
Erhaltung
Im Vorfeld einer anthropologischen Auswertung von prähis-
torischem oder historischem Skelettmaterial bedarf es einer
Charakterisierung der Erhaltung des Untersuchungsmaterials.
Dabei werden die Vollständigkeit, die Knochenoberflächen
und mögliche taphonomische Veränderungen beurteilt und
bewertet. Abschließend muss hier auch der Blick auf die Lage
der Skelette im Grab gerichtet werden.
Am Skelettmaterial fallen zunächst fortgeschrittene Abbau-
prozesse der Knochensubstanz auf. Dies betrifft vor allem die an
sich schon fragileren Kinderskelette, aber auch Teile der Skelette
beider erwachsener Individuen. Hier sind es vor allem die we-
niger stabilen Knochenteile des Schädels (Basis, Gesichtsschä-
del, Taf. 29, 1 a. b) sowie partiell auch die Epiphysen der Lang-
knochen. An den meisten Knochen findet sich eine durch die
Bodenlagerung angegriffene Oberfläche259. Da die Ursachen für
diese Abbauprozesse vielfältiger Natur sein können260, erlauben
sie keine direkten Rückschlüsse auf spezielle Lagerungsbedin-
255 Khanoussi - Maurin 2002, 85 f.
256 Khanoussi — Maurin 2002, 571.
257 Schwartz - Dirkmaat 1984; Poulsen 1986; Kilgore - Jurmain 1988;
Duhig 1994; Stevens 1995b.
258 Guery 1985; Osborne 1992; Rife 2001; Waith 2001.
259 Verhoff- Kreutz 2005, 45-47.
260 Herrmann - Newesely 1982.

gungen in diesem Bereich. Es lässt sich allerdings beobachten,
dass die lockere Bepflanzung des Areals mit Olivenbäumen die
Erhaltung im Standbereich der Pflanzen verschlechtert hat.
Bei den Kindergräbern haben sich häufig nur die robusten
Teile des Skelettes erhalten. Hierzu gehören vor allem Teile des
Hirnschädels (Os frontale, Os parietale, Os occipitale) und die
Diaphysen der Langknochen. Die übrigen Skelettpartien lie-
gen, wenn vorhanden, in schlechtem, unvollständigem Erhal-
tungsgrad vor. Die Erhaltung scheint dabei mit der vorhande-
nen Steinabdeckung der Gräber zu korrelieren, da bei fehlender
Abdeckung die Skelette auch deutlich schlechter erhalten sind.
Auffällig ist bei dem erwachsenen Individuum im Grab 4
(Bef. 106, Taf. 27, 1. 3) eine enge Körperhaltung, vor allem im
Bereich der unteren Extremitäten. Ein solch enges Aneinan-
derliegen bzw. die Lage der Füße übereinander setzt ebenso wie
die körpernahe Lage der oberen Extremitäten eine Wicklung
des Toten für die Bestattung voraus. Wahrscheinlich wurde
der Verstorbene in ein Tuch geschlagen oder mit Tuch bzw.
Stoffbändern umwickelt. Andernfalls würden vor allem die
Beinknochen nach Auflösung des Sehnenverbandes aus ihrer
anatomischen Position rutschen und entsprechend im Grab
gefunden werden. Bei den übrigen Gräbern lässt sich diese
Position des Körpers nicht beobachten bzw. ist nicht so ext-
rem ausgeprägt. Eine ähnliche Vorgehensweise lässt sich nur
noch bei Grab 10 (Bef. 242) vermuten, obwohl hier die Bei-
ne nur relativ nahe beieinander liegen. Dies kann allerdings
auch durch den schmalen Fußraum des Grabes erzwungen
worden sein. Bei dem erwachsenen Individuum aus Grab 6
(Bef. 229, Taf. 27, 2. 4) liegen die Beinknochen in einigem
Abstand auseinander, sodass - trotz des Fehlens des Fußske-
lettes - die beschriebene enge Wicklung als Bestattungsritual
hier auszuschließen ist. Die Kinder scheinen in Rückenlage
ins Grab gelegt zu sein, jedoch ebenfalls ohne auffällige anato-
mische Position der Gliedmaßen. Vielleicht differenziert sich
hier eine Bestattungsweise verschiedener Gruppen innerhalb
des Kollektivs. Ob es sich hierbei um die Unterscheidung zwi-
schen Männer- und Frauenbestattung handelt, muss aufgrund
der mit drei beurteilbaren Gräbern geringen Anzahl der Stich-
proben offen bleiben. Möglich wäre eine solche Zuordnung,
da das Grab 10 biologisch noch der juvenilen Altersgruppe
zugeordnet wird, von der Struktur der römischen Gesellschaft
her die Jungen aber ab 14 Jahren und die Mädchen 12 Jahren
bereits zur Gruppe der Erwachsenen gehören261.
Fast alle Skelette liegen - soweit dies bei den schlecht erhal-
tenen Kindergräbern nachvollziehbar ist - im ursprünglichen
anatomischen Zusammenhang im Grab. Lediglich beim Ske-
lett in Grab 6 fällt eine Verlagerung einzelner Knochenpartien
auf. Dies gilt vor allem für den Brustkorb und den linken Un-
terarm, die zwar vorhanden sind, sich aber nicht mehr in der
anatomischen Position im Grab befanden. Außerdem fehlten
auffälligerweise sämtliche Knochen des unteren Fußskeletts,
also alle Ossa metatarsalia und Phalanges. Die Art der Verlage-
rung der Knochen lässt erkennen, dass dies zu einem Zeitpunkt
geschah, als sie sich nicht mehr im Sehnenverband befanden.
Falls noch ein Verband vollständig oder teilweise vorhanden
gewesen wäre, müssten sich die verlagerten Knochen im Ver-
261 Becker 2002a, 161 f.
 
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