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Ritter, Stefan; Rummel, Philipp; Becker, Thomas; Ganschow, Thomas; Godbillon, Isabelle; Großmann, Sonja; Herb, Christiane; Kalogeroudi, Eleni; Meyr, Martina
Archäologische Untersuchungen zur Siedlungsgeschichte von Thugga: die Ausgrabungen südlich der Maison du Trifolium 2001-2003 — Thvgga, Band 3: Wiesbaden, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.42449#0069
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Die Bestattungen

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band verschoben finden - beispielsweise wäre der linke Unter-
arm vollständig aus der anatomischen Position bewegt — oder
eine Verlagerung unmöglich gewesen sein. Der Zeitpunkt der
Auflösung des Sehnenverbandes steht stark in Abhängigkeit
von den Lagerungsbedingungen und der BodenbeschafFen-
heit und kann daher nur grob geschätzt werden262. Die Art
der Verlagerung kann andererseits auch für einen vorhande-
nen Hohlraum in der steingesetzten Grabkammer sprechen,
da eine Verlagerung vor allem der Unterarmknochen oder der
vollständigen Rippen einen Hohlraum voraussetzt, um diese
in dieser Deutlichkeit zu ermöglichen. Da die steinerne Ab-
deckung über der Bestattung im Fußbereich fehlt, das Füllm-
aterial des Grabes aber bei der Freilegung keine Hinweise auf
nachträgliche Eingriffe zeigte, muss eine Beraubung des bereits
verfüllten Grabes fraglich bleiben. Der Zeitpunkt der Verlage-
rung der Knochen grenzt sich folglich zwischen der Auflösung
des Sehnenverbandes und der Auffüllung des Hohlraumes mit
Sediment ein. Möglicherweise hat das Fehlen des einen Steins
die Verfüllung beschleunigt.
Die Ursache für die Verlagerung muss leider offen bleiben.
Eine Beraubung als partielle Störung ist aus den genannten
Gründen und ohne einen Hinweis auf Beigaben, die Ziel ei-
ner solchen Beraubung gewesen sein könnten, schwierig zu
belegen. Das Fehlen der vollständigen Fußskelette lässt an
vorhandene Schuhe als Beraubungsobjekt denken, die zusam-
men mit den Fußknochen aus dem Grab entfernt wurden. Die
Entfernung ganzer Körperteile im Rahmen der Beraubung ist
an Gräberfeldern in Mitteleuropa belegt263. Die Störung im
Brustbereich entstand dann bei der Entfernung einer Beigabe
von dort, die beispielsweise mittels eines Hakens zum Fußen-
de gezogen wurde und so die Verlagerung der Knochen ent-
stand. Denkbar wäre aber auch als andere Erklärungen die
Störung durch Tiere, die allerdings schon eine gewisse Grö-
ße haben müssten, um vor allem die großen Langknochen zu
bewegen. Da die Wände und die Abdeckung des Grabes bis
auf die fehlende Abdeckplatte kaum Zwischenräume für das
Eindringen von Tieren dieser Größe - zu denken wäre hier
beispielsweise an Hasen - lassen, wäre noch von einem Ein-
dringen von unten auszugehen, für die es auf der Grabsohle
nach Herausnahme des Skeletts jedoch keine Hinweise gab.
Erhält sich bei Bestattungen über längere Zeiträume ein Hohl-
raum, wie es bei Steinsärgen oder Bestattungen in Holzsärgen
bei dauerfeuchtem Milieu der Fall ist, können schwankende
Wasserstände in diesem Hohlraum für eine Verlagerung der
Knochen sorgen. Geht man von einem Teilzusammenhalt der
Knochen durch eine Umwicklung aus, könnte der nicht mehr
fixierte Bereich aufgeschwemmt worden sein. Allerdings kann
hierfür bei der leichten Hanglage des Geländes das Grundwas-
ser kaum verantwortlich sein, da ein Anstauen des Wassers in
den Gräbern bei dieser Topographie unwahrscheinlich ist und
in diesem unwahrscheinlichen Fall auch eine Verlagerung der
Knochen hangabwärts im Grab zu erwarten wäre. Außerdem
ist zurzeit zu wenig über die Grund- und Oberflächenwas-
sersituation und den Wasserhaushalt im Bereich des antiken
Thugga bekannt, als dass diese Erklärungsmöglichkeit heran-
262 Verhoff- Kreutz 2005, 45 £
263 Steuer 1998.

zuziehen wäre. Folglich muss die beobachtete Verlagerung zum
gegenwärtigen Forschungsstand ohne abschließende Erklärung
bleiben.
Alters- und Geschlechtsbestimmung
Methodisch beruht die Bestimmung von Alter und Geschlecht
von Toten aus archäologischem Kontext auf der Beobachtung
von Wachstums- und Degenerationserscheinungen und deren
Stadium264. Beim heranwachsenden Menschen bis ungefähr
zum 25. Lebensjahr sind dies die Bereiche, die in den entspre-
chenden Altersabschnitten bekannte Verknöcherungs- und
Verwachsungsstadien aufweisen. Die Angaben werden dabei
grob in die Altersklassen Infans I (0—6 Jahre), Infans II (7-12
Jahre) und Juvenil (13-20 Jahre) eingeteilt. Bei den infanti-
len Kindern beruhen die Altersschätzungen vor allem auf der
Entwicklung des Gebisses, für die Altersklasse Infans I des
Milch- und die Altersklasse Infans II des Dauergebisses. Ab
dem juvenilen Alter ist die Entwicklung des Dauergebisses mit
Ausnahme des Durchbruchs der beiden hinteren Molaren (M2
und M3) abgeschlossen, sodass für diesen Lebensabschnitt an-
dere Altersparameter herangezogen werden müssen. Hier wird
der Stand der Epiphysenverwachsung, vor allem an den Lang-
knochen, beurteilt, die in der Zusammenschau mehrerer Kno-
chen eine gute Altersschätzung ermöglichen.
Bei den Altersklassen der ausgewachsenen Individuen Adult
(21—40), Matur (41-60) und Senil (über 60) ändert sich die
Methodik hin zu einer Beurteilung verschiedener Degenera-
tionserscheinungen am Skelett. Hier sind vor allem das Ent-
wicklungsstadium der Pubis-Symphyse, der Verstreichungs-
grad (Obliteration) der Schädelnähte und der Abbaugrad der
Bälkchenstruktur (Spongiosa) in den oberen Epiphysen von
Oberarm (Humerus) und Oberschenkel (Femur) einzuordnen.
Sind alle vier Bereiche erhebbar, kann die von G. Ascädi und
J. Nemeskeri entwickelte „Komplexe Methode“ angewandt
werden, die eine Altersschätzung mit einer Genauigkeit von
+/- 2,5 Jahren ermöglicht265. Entsprechend gröber ist eine Be-
stimmung des Sterbealters mit einer reduzierten Anzahl von
Merkmalen. Weiterhin lässt sich der Altersbereich auch anhand
des Abkauungsgrades (Abrasion) der Zähne grob abschätzen
(Taf. 29, 2), wobei bei diesem Ansatz der Faktor unterschied-
lich harter Ernährung bedacht werden muss. Folglich kann ein
populationsübergreifender Vergleich bei unbekannten Ernäh-
rungsgewohnheiten ein verfälschtes Bild erzeugen und nur bei
größeren Skelettserien zu Näherungswerten führen. Die sin-
guläre Betrachtung einzelner Individuen ohne Hinweise auf
deren Ernährung kann eher zu einem verfälschten Eindruck
des Sterbealters führen. Weitere Alterskriterien sind degenera-
tive Veränderungen auf den Gelenkflächen der großen Lang-
knochen und im Bereich der Wirbelsäule, die aber ebenso wie
die Zahnabrasion nur als Ergänzung der eigentlichen Altersbe-
stimmung dienen können.
In der Grabungskampagne 2002 konnten bei allen geborge-
nen Individuen Angaben zum Sterbealter gemacht werden. So
sind sieben Individuen im infantilen, eines im juvenilen und
264 Szilvässy 1988, 421.
265 Szilvässy 1988, 430-435.
 
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