Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Ritter, Stefan; Rummel, Philipp; Becker, Thomas; Ganschow, Thomas; Godbillon, Isabelle; Großmann, Sonja; Herb, Christiane; Kalogeroudi, Eleni; Meyr, Martina
Archäologische Untersuchungen zur Siedlungsgeschichte von Thugga: die Ausgrabungen südlich der Maison du Trifolium 2001-2003 — Thvgga, Band 3: Wiesbaden, 2015

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42449#0070
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
66

Die Befunde

zwei im erwachsenen Altersbereich verstorben. Bemerkenswert
ist hier vor allem der hohe Anteil an verstorbenen Kindern, was
noch im Rahmen des demographischen Vergleichs zu disku-
tieren sein wird. Auch vermisst man im adulten Altersbereich
verstorbene Individuen.
Die Bestimmung des Geschlechts am menschlichen Skelett
beruht auf verschiedenen Merkmalen, die sich aufgrund ih-
rer Entstehung in eine primäre und eine sekundäre Gruppe
gliedern lassen. Die primären Merkmale stehen im Zusam-
menhang mit der für Schwangerschaft und Geburt unter-
schiedlichen Formung des weiblichen Beckens, während die
sekundären Merkmale auf der unterschiedlichen Wuchsform
und Robustizität zwischen Mann und Frau beruhen, die man
grob mit einem „robusten“ Wuchs des Mannes und einem
„grazilen“ der Frau umschreiben kann. Die unterschiedliche
Merkmalsausprägung wurde verschiedentlich in der Literatur
beschrieben266. Diese Merkmale lassen sich fast ausschließlich
auf erwachsene Individuen anwenden, während sich die Ge-
schlechtsbestimmung beim subadulten Individuum, vor allem
den vorpubertären Altersklassen Infans I und II, schwierig ge-
staltet. Extreme Ausprägung einzelner Beckenmerkmale („hy-
permaskulin“, „hyperfeminin“), zum Beispiel der Incisura is-
chiadica major, lassen sich bereits in diesem Altersstadium mit
gebotener Vorsicht beurteilen. Regressionsgleichungen, wie sie
für die Vermessung des Innenohrs (Pars petrosa ossis tempora-
lis) entwickelt wurden267, konnten am vorliegenden Material
aufgrund schlechter Erhaltung nicht angewandt werden.
Die beiden erwachsenen Individuen der Grabung konnten
anhand primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale als eine
Frau und ein Mann bestimmt werden. Die Geschlechtszuwei-
sung anhand der morphognostischen Merkmale bestätigt sich
auch anhand der vermessenen Knochen der beiden Skelette.
Bei den subadulten Individuen gelang lediglich bei drei Indivi-
duen eine allerdings unsichere Zuweisung zum weiblichen (ein
Individuum) bzw. männlichen (zwei Individuen) Geschlecht.
Morphometrie
Das menschliche Skelett variiert nicht nur in der Größe, son-
dern auch in der Wuchsform der einzelnen Knochen. Diese
Unterschiede sind bedingt durch das Geschlecht des Indivi-
duums, seine Lebensbedingungen und auch seine regionale
Herkunft. Über den Vergleich mit anderen Populationen las-
sen sich Ähnlichkeiten und damit Beziehungen zueinander
herausarbeiten, die ein ähnliches Ethnikum andeuten können.
Allerdings bedarf es der objektiven Beurteilung dieser Ergeb-
nisse, da die Gefahr eine Überinterpretation gegeben ist.
Um ein objektives Kriterium für die Beschreibung von Grö-
ße und Wuchsformen an einer Skelettserie zu erlangen, wird
von einer reinen Beschreibung der Skelette zugunsten einer
Vermessung abgesehen. Für die Vermessung eines Skeletts gibt
es fest definierte Messstrecken268, die einen Vergleich mit ande-
ren Skelettserien ermöglichen269. Die Vermessung von Skelet-
266 Sjovold 1988, 445-453.
267 Schutkowski 1983.
268 Martin 1914.
269 Bräuer1988.

ten beschränkt sich allerdings auf erwachsene Individuen, da
der im Wachstum befindliche Knochen keine vergleichbaren
Werte liefern kann. Lediglich für die Altersbestimmung kann
die Vermessung der Länge vollständiger Diaphysen Aufschlüs-
se zum Alter des Individuums geben270.
Aus den vorliegenden Gräbern konnten nur die beiden er-
wachsenen Individuen vermessen werden (Tab. 1.3). Dabei
ergibt sich erhaltungsbedingt ein indifferentes Bild, da nicht
für alle Messstrecken Werte abgenommen werden konnten.
Die Aussagekraft bleibt aufgrund der geringen Individuenzahl
gering, jedoch ist im Vergleich der Geschlechtsdimorphismus
ausgeprägt vorhanden. Aufgrund der geringfügig höheren
Messwerte auf einer Körperseite des Armskeletts kann von ei-
ner Rechtshändigkeit beider Individuen ausgegangen werden.
Das männliche Individuum weist eine brachyzephale Kopf-
form auf (Tab. 2). Die Körpergröße lässt sich anhand der For-
meln von Pearson auf 1,58 m für den Mann aus Grab 4 und
1,505 m für die Frau aus Grab 6 rekonstruieren2 '.
Pathologische Veränderungen
Unter pathologischen Veränderungen versteht man die kno-
chenanlagernden, -umbauenden, -verändernden oder -auflö-
senden Prozesse, die im Zusammenhang mit einer Erkrankung
des Individuums stehen. Neben Aussagen zum Krankenstand
und in seltenen Fällen auch zu der Todesursache des jeweili-
gen Individuums können sie auch Hinweise auf dee Lebens-
umstände der Toten geben. Die Ursachen für mögliche Ver-
änderungen können verschiedenste Ursachen haben und sind
in verschiedenen Gruppen zusammenzufassen: Degenerative
Erkrankungen, Frakturen, Infektionserkrankungen, alimentä-
re Erkrankungen, Erkrankungen der Zähne bzw. des Zahnhal-
teapparats272.
Im Thuggenser Material lassen sich verschiedene pathologi-
sche Veränderungen nachweisen. In der Häufigkeit überwiegt
hier die Karies - das Krankheitsbild, das auch in der Anzahl in
anderen Serien überwiegt273. Hier finden sich elf Zähne mit elf
kariösen Veränderungen, die von der einfachen Karies superfi-
cialis bis hin zur Karies profunda mit vollständiger Zerstörung
der Krone reicht. Der Ausfall des 33 und 46, also des Caninus
(Eckzahn) im linken und des ersten Molar (Backenzahn) im
rechten Unterkiefer beim Individuum aus Grab 4 und des 33
beim Individuum aus Grab 6 geht wahrscheinlich ebenfalls auf
eine Karies zurück, die zu einer Entzündung im Wurzelbereich
und einer daraus resultierenden Extraktion des Zahnes führte
(Taf. 29, 2. 5). Diesen Befund eingerechnet beträgt folglich die
Kariesfrequenz 100 und die Kariesrate 16,72/4.
An weiteren Zahnpathologien konnten Parodontose an den
Weisheitszähnen des Unterkiefers (38, 48) beim Individuum
aus Grab 4 belegt werden. Außerdem fand sich noch ein Dreh-
stand am Prämolaren 43 beim Individuum aus Grab 6, der
wahrscheinlich aus einem Engstand im Unterkiefer resultiert.
270 Sjovold 1988, 425 f..
271 Pearson 1899; Rösing 1988.
272 Schulz 1988; Grupe u. a. 2005, 96—102.
273 Alt 2001, 184-191.
274 Alt 2001, 161 f.
 
Annotationen