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Ritter, Stefan; Rummel, Philipp; Becker, Thomas; Ganschow, Thomas; Godbillon, Isabelle; Großmann, Sonja; Herb, Christiane; Kalogeroudi, Eleni; Meyr, Martina
Archäologische Untersuchungen zur Siedlungsgeschichte von Thugga: die Ausgrabungen südlich der Maison du Trifolium 2001-2003 — Thvgga, Band 3: Wiesbaden, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.42449#0071
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Die Bestattungen

67

Beim männlichen Individuum aus Grab 4 fanden sich ferner
arthritische Veränderungen an der Wirbelsäule. Drei Lenden-
wirbel zeigten eine ausgeprägte Kranzbildung (Spondylophy-
ten) am linken Gelenkrand. Der drei Brustwirbel waren auf
der rechten inneren Seite durch eine Knochenbrücke (anky-
losierende Hyperostose) miteinander verbunden (Taf. 29, 3),
wofür die Ursache beispielsweise in einer Diabetes mellitus
oder einer Gicht zu suchen sein wird. Zusammen mit der wohl
arthrotisch bedingten Veränderung des medialen Endes der
Clavicula (Facies articularis sternalis) deuten diese Verände-
rungen auf eine erhöhte Arbeitsbelastung des Individuums hin
(Taf. 29, 4)275.
Epigenetische Merkmale
Bei der Wuchsform des einzelnen Knochens können verschie-
dene Varianten auftreten, die in gewisser Frequenz in Bevöl-
kerungsgruppen belegt und genetisch prädispositioniert sind.
Sie finden sich multivariabel oder existent. An den meisten
Knochen des Skelettes sind solche Varianten, auch epigeneti-
sche Merkmale genannt, nachzuweisen, wobei sich die größte
Anzahl auf den Schädel und das Gebiss konzentriert276. Bei gut
erhaltenen Skelettresten ergibt sich aus der Bewertung dieser
Merkmale die Möglichkeit, über statistische Häufungen ver-
wandtschaftliche Beziehungen zwischen Einzelindividuen
nachzuweisen. Die Bewertung gelingt allerdings nur bei Ske-
letten erwachsener Individuen, da der Großteil der Merkma-
le erst beim ausgewachsenen Knochen vollständig ausgeprägt
und damit beurteilbar ist.
An den beiden erwachsenen Individuen aus Grab 4 und 6
wurde auf eine Erhebung der Einzelmerkmale verzichtet, da
vor allem das Skelett aus Grab 6 hierfür zu schlecht erhalten
war. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Nicht-
anlage der 3. Molaren beim weiblichen Individuum aus Grab 6
(Taf. 29, 5) — eine der bekanntesten epigenetischen Varianten,
die bei prähistorischen Bevölkerungen in einer Frequenz zwi-
schen 7 % und 20 % auftritt277.
Demographie und Populationsvergleich
Für Aussagen über die Population zu einem jeweiligen Gräber-
feld und den anzunehmenden Lebensbedingungen bedarf es
nicht nur einer Betrachtung der Einzelindividuen, sondern der
gesamten im Rahmen der Ausgrabung erfassten Bevölkerung.
Hier ergibt sich aus der archäologischen Auswertung der Grä-
ber278 ein nur unvollständig erfasster Friedhof, da die Grenzen
des Bestattungsbereiches im Westen und Süden nicht sicher
erfasst worden sind. Die vorliegende Population stellt folglich
einen Ausschnitt aus der Gesamtzahl der hier Bestatteten dar,
deren ursprüngliche Größe schwer abzuschätzen ist. Gräber-
felder dieser Zeitstellung können in Tunesien sowohl auf we-
nige Gräber beschränkt sein wie auch den Charakter größerer
Friedhöfe haben2 9. Eine Rekonstruktion der ursprünglichen
275 Schulz 1988, 485.
276 Alt 1997, 17-21.
277 Alt 2001, 123.
278 s. Kap. II. 6.
279 Duval 1995.

Individuenzahl ist daher auf der vorliegenden Informationsba-
sis nicht möglich.
Bei der vorliegenden Altersverteilung fällt der hohe Anteil
an subadulten Individuen, vor allem der Altersstufe Infans I
auf (Tab. 4). In historischen Bevölkerungen wird normalerwei-
se von einer vermehrten Sterblichkeit in diesem Altersbereich
ausgegangen, die mit einem erhöhten Risiko für Erkrankungen
der jungen, im Wachstum befindlichen Individuen begründet
wird280. Dabei bilden der geringe Ausschnitt des vorliegenden
Friedhofs und die damit geringe Individuenzahl eine Unsi-
cherheit, die eigentlich die Annahme einer repräsentativen
Altersverteilung ausschließt. Hier mag allerdings die Befundsi-
tuation im Umfeld der Gräber Aufschluss geben. So erscheint
aufgrund der antiken Parzellengliederung281 eine großflächige
Ausdehnung des Gräberfeldes unwahrscheinlich. Bei den un-
tersuchten Gräbern lässt sich auch eine Konzentration von
subadulten Individuen in einzelnen Reihen mutmaßen - dies
deutet zumindest die Reihe der Gräber 1, 2, 3, 5 sowie 7, 8, 9,
10 (s. Taf. 42) an. Die Bestattung in Reihen kann zwar eben-
falls bei anderen, zeitgleichen Bestattungsplätzen belegt wer-
den282, jedoch ist dort eine intentioneile Konzentration von
subadulten Individuen in der für Thugga vorliegenden Form,
also konzentriert auf spezielle Reihen, nicht nachweisbar. In
Karthago finden sich beispielsweise Kinderbestattungen wahl-
los verstreut zwischen den erwachsenen Individuen283. Es kann
folglich eine zufällige Zusammenstellung der Gräber in dieser
Form angenommen werden. Die Positionierung der Gräber im
Bereich ehemaliger Bebauung284 deutet eher auf eine kleinere
Familiengrablege als ein größeres Gräberfeld zum zeitgleichen
Siedlungsareal, da solche Gräberfelder meist die Nähe zu Befes-
tigungsmauern suchen285. Soweit anthropologische Daten aus
zeitgleichen Gräberfeldern vorliegen, findet sich dort eine Kin-
dersterblichkeit von 38 bis 90 %. So ist der Anteil subadulter
Individuen in Karthago bei 67 und 90 %286. In Leptiminus
liegt er bei 38 % und 78 %28/, für Sitifis können 67 bzw. 44 %
nachgewiesen werden288.
Der hohe Kinderanteil im untersuchten Material ist zwar
statistisch zunächst nicht repräsentativ, relativiert sich aller-
dings im Vergleich mit den zeitgleichen Gräberfeldern in
Nordafrika. Um die Situation für Thugga selbst abschätzen zu
können, bietet sich der Vergleich mit den Altersangaben auf
Grabinschriften der antiken Stadt an, da diese entsprechend
monographisch vorgelegt sind289. Zwar datieren lediglich drei
Inschriften annährend gleichzeitig (4. Jh.) zu den Bestattungen
der Grabung290, während die übrigen 1127 Steine aus dem 1.
bis 3. Jahrhundert stammen, doch stellen sie die bislang einzi-
gen für Thugga verfügbaren demographischen Daten dar. Hier
zeigt sich, dass der Anteil subadulter Individuen bei ca. 18,3 %
280 Lohrke 2002, 142 £; Becker 2002a, 161 f.
281 s. Kap. II. 4.
282 Nabulsi 1998.
283 Stevens 1995b.
284 Hurst - Roskams 1984, 145; Hurst 1994a, 222 f.
285 Hurst - Roskams 1984, 63 f.; Poulsen 1986; s. Kap. II. 6.
286 Schwartz - Dirkmaat 1984, 225; Poulsen 1986.
287 Osborne 1992, 268.
288 Guery 1985, 255-287 bzw. 237-255.
289 Khanoussi - Maurin 2002.
290 Khanoussi - Maurin 2002, 571 Nr. 1523—1525.
 
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