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Ritter, Stefan; Rummel, Philipp; Becker, Thomas; Ganschow, Thomas; Godbillon, Isabelle; Großmann, Sonja; Herb, Christiane; Kalogeroudi, Eleni; Meyr, Martina
Archäologische Untersuchungen zur Siedlungsgeschichte von Thugga: die Ausgrabungen südlich der Maison du Trifolium 2001-2003 — Thvgga, Band 3: Wiesbaden, 2015

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42449#0015
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I. Einleitung

Stefan Ritter

ZIEL DES PROJEKTES
Unter den zahlreichen römischen Ruinenstätten Nordafrikas ist
Thugga von besonderem Interesse, da diese Stadt geradezu den
Modellfall einer alten, gewachsenen Siedlung im Binnenland
der Africa Proconsularis vorstellt. Allerdings klaffen hier, so wie
in anderen antiken Städten Nordafrikas auch, die beeindru-
ckende bauliche Erhaltung und der wissenschaftliche Kennt-
nisstand weit auseinander. Während die bisherigen Kenntnisse
zur Geschichte Thuggas fast ausschließlich auf den zahlreichen
kaiserzeitlichen Inschriften beruhen, steckt die archäologische
Erforschung wegen des Fehlens dokumentierter Schichtengra-
bungen noch ganz in den Anfängen. Dies betrifft nicht nur die
öffentlichen, zum Teil durch Inschriften historisch fixierbaren
Bauten, sondern vor allem die weitläufigen Wohnviertel, über
deren Werdegang in den verschiedenen Epochen der Stadtge-
schichte kaum etwas bekannt ist.
Vor diesem Flintergrund wurde das hier vorzustellende Pro-
jekt konzipiert, um mittels der Ausgrabung eines größeren
Areals im Süden der kaiserzeitlichen Wohnstadt einen exem-
plarischen Einblick in die Siedlungsgeschichte Thuggas zu
gewinnen (Abb. 1). In dem ausgewählten Bereich haben wir
zwischen 2001 und 2003 erstmals für Thugga eine umfassen-
de, von vorrömischer Zeit bis in die Spätantike reichende Sied-
lungsstratigraphie systematisch untersucht.
FORSCHUNGSSTAND
Thugga ist in Hinblick auf urbanistische Veränderungen im
antiken Nordafrika aus mehreren Gründen von exemplarischer
Bedeutung. Die in der am dichtesten urbanisierten Region der
Africa Proconsularis gelegene Stadt war von hellenistischer Zeit
bis in die Spätantike kontinuierlich besiedelt und wurde in der
Neuzeit nicht großflächig überbaut. Im 2. und 1. Jh. v. Chr.
war Thugga ein bedeutendes urbanes Zentrum des numidi-
schen Königreiches, und die kaiserzeitliche Stadt, wie sie im
heutigen Ruinenbestand fassbar ist, folgt in ihrer unregelmä-
ßigen Struktur weitgehend der vorrömischen Stadtanlage. Von
den meisten anderen antiken Städten Nordafrikas unterschei-
det sich Thugga schließlich darin, dass die Stadt weiträumig
freigelegt ist und hier eine einzigartige Fülle an epigraphischen
Informationen zur Geschichte vorliegt; so sind bislang mehr
als 30 Heiligtümer und etwa 2000 lateinische Inschriften be-
kannt.
Die Existenz einer Ansiedlung auf dem Felsplateau oberhalb
der fruchtbaren Ebene des Oued Khaled wird erstmals im

ausgehenden 4. Jh. v. Chr. greifbar’. Die Region um Thugga
befand sich damals im Besitz der punischen Metropole Kar-
thago, die im späten 5. oder im Verlauf des 4. Jhs. v. Chr. ein
bedeutendes Territorium im Landesinnern zwecks agrarischer
Nutzung erworben hatte2.
Die Siedlung blieb bis in das 2. Jh. v. Chr. in punischer
Hand, als der mit Rom verbündete Numiderkönig Massinis-
sa seinen Herrschaftsbereich schrittweise auf Kosten Kartha-
gos vergrößerte und dann, im Vorfeld des dritten Punischen
Krieges, auch die Region um Thugga in seine Gewalt brachte3.
Nach der Zerstörung Karthagos 146 v. Chr. und der Einrich-
tung der römischen Provinz Africa blieb die Stadt im Besitz der
numidischen Könige und wurde, nahe der römischen Provinz-
grenze gelegen, zu einem wichtigen städtischen Zentrum des
Numiderreiches.
Nachdem Thugga 46 v. Chr. dem römischen Reich einver-
leibt worden war, wurden im Zuge der politischen und territo-
rialen Neuordnung der Africa Proconsularis auch in der Region
um Thugga weitläufige Ländereien der neu gegründeten Co-
lonia Concordia Iulia Karthago zugeteilt. In Thugga begannen
sich römische Kolonisten anzusiedeln, die sich zu einem pagus,
einer von Karthago abhängigen römischen Bürgergemeinde
konstituierten, während die eingesessenen Thuggenses, ohne rö-
misches Bürgerrecht, den Status einer civitas erhielten4. Thugga
wurde ein regionales Verwaltungszentrum, von dem aus eine
Reihe kaiserlicher Landgüter verwaltet wurde. Der wachsende
Reichtum der wohlhabendsten und einflußreichsten Thuggen-
ser Familien, der auf der landwirtschaftlichen Nutzung ihrer
Landgüter beruhte, machte sich nach und nach auch im Stadt-
bild bemerkbar. Im mittleren 2. Jh. n. Chr. setzte ein regelrech-
ter Bauboom ein, der das Erscheinungsbild der Stadt grundle-
gend veränderte. Zwischen dem 2. und dem 4. Jh. entstanden
fast alle der heute sichtbaren Bauten und Anlagen: die zahl-
reichen Tempel, das Theater, mehrere Thermen, Ehrenbögen,
die gepflasterten Straßen, Einrichtungen der Wasserversorgung
und vor allem die großzügigen, vielfach mit prachtvollen Mo-
saikböden ausgestatteten Wohnhäuser5.
Im Jahre 439 wurde die Stadt dem vandalischen Reich ein-
gegliedert, dann 333 von den Byzantinern erobert und mit ei-
ner Festung um Forum und Kapitol versehen, bevor sie 698
schließlich von den Arabern in Besitz genommen wurde. An
1 Der früheste Beleg ist Diod. 20,57,4, wo ,Tokai’, das wahrscheinlich mit
Thugga gleichzusetzen ist, in Zusammenhang mit dem Feldzug des Agathokies
ins Landesinnere des punischen Nordafrika 307 v. Chr. erwähnt wird; hierzu s.
Desanges 1997, 21—24; Grüner 2002, 55—57.
2 Hierzu s. Lund 1988, 44—57 mit Tab. 1.
3 Zur Expansion des Numiderreiches s. R.-Alföldi 1979, 51—57; Slim 2001,
80-95 (Überblick).
4 Überblick zur Geschichte des römischen Thugga: Hitchner 2002, 597—599.
5 Zu den Bauten der Stadt immer noch grundlegend: Poinssot 1983, passim;
neuerer Überblick: Khanoussi 1998, passim.
 
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