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Zur Geschichte der Beschreibungen der Mediciskulpturen

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bens. In der Statue der Madonna findet die
Begegnung beider statt: Kaulen [1968].

18. Die Kapelle ist eine Darstellung der her-
metisch-alchemistischen conjunctio: Calvesi
[1969].

19. Die Neue Sakristei als Gesamtkunstwerk
ist die Wiederholung, die Neuinszenierung der
Auferstehung Christi im Körper des Gläubigen
Christen: Dixon [1975 und 1994].

20. Die Madonna ist »die lux perpetua, die
den Verstorbenen leuchten soll«: von Einem
[1973, Medicimadonna, 8]. Insgesamt prägt
die liturgische Funktion der ewigen Anbetung
für die Seelen der Mediceer das Programm und
die Gestaltung der Kapelle: Ettlinger [1978].

21. Die Neue Sakristei ist eine »summa
medicea«, ein »Memorialbau, in dem die Ge-
schichte der Medici besiegelt wurde«, die Capi-
tani sind Allegorien der mediceischen >Haus-
tugenden<, der Großzügigkeit (Giuliano) und
des Maßhaltens (Lorenzo): Prater [1979,
Architektur und Zeit und 1979, Ordine com-
posto].

22. Die Kapelle, die erst aus dem Bezug der
Herzogsgräber mit dem nicht ausgeführten
Magnificigrabmal verständlich wird, versinn-
bildlicht den »Vorhof der Ewigkeit«, »Ort
immerwährender Veränderung, des Werdens
und Vergehens im Fließen der Zeit«: Perrig
[1980, 272 ff.].

23. Thema des Statuenprogramms ist die
Reise der Heiligen Drei Könige zur Anbetung des
Kindes: Lewis/Trexler [1981,2i987, 197 ff.].

24. Die Skulpturen der Neuen Sakristei sind
der »Inbegriff von Michelangelos Konzept

einer weisen, in sich melancholisch gebroche-
nen Herrschaft«: Bredekamp [1989, bes. 175
f. und 1992, 80].

25. Giorno und Notte sollen nicht als allge-
meine Personifikationen der Tageszeiten, son-
dern als die Tage und Nächte im Leben von
Giuliano de' Medici verstanden werden: Demp-
sey [1994, bes. 352 ff.].

Daß »nahezu alle diese Exegesen einige Kör-
ner Wahrheit« enthalten [Panofsky 1964,
101], ist schon früh bezweifelt worden. So
schreibt Karl Scheffler [1916] in seinem ita-
lienischen Tagebuch über die Neue Sakristei:

Es wäre kinderleicht, in diese majestätisch aufge-
bauten Figurengruppen etwas sehr Bedeutendes
hineinzutragen und tiefsinnige Deutungen zu ver-
suchen; es ist nicht schwierig, sich in einen
Rausch hineinzureden. Die ruhevoll sich winden-
de Kraft der Figuren wartet ja darauf, daß man sie
mit Deutung umgibt. Hierauf lasse ich mich aber
nicht ein; von diesem großsprecherischen Selbst-
trug habe ich zu viele verderbliche Proben schon
erlebt. [Scheffler zi9i6,194]

Der Kunstkritiker Scheffler kritisiert die gelehr-
ten Deutungsversuche, die seit dem Ende des 19.
Jahrhunderts stark zugenommen hatten. Auffäl-
lig ist, daß sie damals fast ausschließlich von
deutschsprachigen Autoren verfaßt wurden, aus
jenem Kulturraum, in dem die Kunstgeschichte
sich zuerst als akademische Disziplin entwickelt
hat.102 So wird verständlich, daß 1913 die Bel-
gierin Alix Pasquier diese Deutungen der
Neuen Sakristei, die sie mehrere Seiten lang
zusammenfaßt, als typisch deutsch empfand:

lieh um den Piatonismus, allein ich sehe die Ent-
stehung und Vollendung eines Kunstwerkes im Geist
und durch die Hand des Meisters als eine Sache an,
welche von seinem sonstigen Wissen und Denken
wohl berührt, aber nicht wesentlich bedingt werde,
sondern aus einer andern Quelle emporsteige« [Brief
vom 6.3.1886, in: Briefe, IX, 23]. Unter den Kritikern
einer neoplatonischen Interpretation ist Sckommodau
[1962] besonders ausführlich. Allgemein über den
Piatonismus als Phänomen des 20. Jahrhunderts Bre-
dekamp [1992]. Kai Schiller wird demnächst eine wis-
senschaftsgeschichtliche Dissertation über die trans-
atlantische Humanismusforschung in der ersten Hälfte

des 20. Jahrhunderts veröffentlichen (The Renaissance
as Prototype and Remedy. The Development ofTrans-
atlantic Humanist Culture during Classical Modernity
1918 - 1968). Der Hang zum Neoplatonismus stellt
sich dabei als Kompensation gegen die Krisen der
Moderne dar.

101 Abermals in den Vorträgen vom 5.11. und 15.12.1912
[Steiner, Okkulte Untersuchungen, -"1990, 80 f. und
144 f. und Das Leben, 4i983, 25 ff.]

102 Ein Überblick über die in den verschiedenen Ländern
Europas unterschiedlich verlaufende Entwicklung der
Kunstgeschichte im 19. Jahrhundert bei Kauffmann
[i993l-
 
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