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schriftlichen Interpretationen der Skulptur.
Spätere Autoren haben daraus wiederum wei-
tere Schlüsse gezogen und besonders psycholo-
gische Implikationen betont:16-'

(...) das Wesentliche ist ihm [Michelangelo] die
Charakterisierung der Unruhe im Schlafe, die

ihrerseits als Ausdruck der die Seele der Schlafen-
den noch im Traum peinigende, qualvollen
Gedanken zu gelten hat. (Groote 1927, 9]

Diese so häufig beschriebene Unruhe und inne-
re Qual der Notte kommt aber in keiner Nach-
zeichnung zum Ausdruck.

Die Interpretationsgeschichte der Komposition

Das Grabmal als formale Einheit

Die zwei Wandgräber der Mediciherzöge (Taf. ia
und Taf. zia) sind einander angeglichen. Jedes
umfaßt drei Skulpturen: Eine Sitzstatue des Ver-
storbenen füllt die mittlere Nische, unter ihr lie-
gen auf den Voluten der Sarkophage je eine
männliche und eine weibliche Figur. Diese drei
nahe beieinander aufgestellten Gestalten sind sze-
nisch unverbunden. Es gibt keinen Blickkontakt
untereinander, keine weist mit Kopf oder Händen
auf eine der anderen oder bewegt sich auf sie zu.
Ein Verhältnis zwischen den Skulpturen besteht
nur auf der gedanklichen Ebene und in Hinblick
auf die formale Komposition. Einen gedanklichen
Zusammenhang zwischen den verstorbenen Her-
zögen und den Tageszeiten hat bereits Michelan-
gelo schriftlich festgehalten.l6-* Unterschiedliche
Auffassungen eines solchen Zusammenhangs
waren seit dem 16. Jahrhunderts Ausgangspunkt
für viele Deutungen der Grabmäler.'6? Die forma-
le Konstellation der Figuren ist dagegen erst im
Laufe der Jahrhunderte zu einem ausdrücklichen
Bestandteil der Betrachtung geworden: Beschrei-

bungen wie Nachzeichnungen befassen sich zu-
erst nur mit den einzelnen Figuren, erst Jahrhun-
derte später mit ihren Beziehungen.

In allen frühen Beschreibungen der Neuen
Sakristei wird auf die Skulpturen einzeln einge-
gangen, ohne Rücksicht auf ihre Gruppierung.
Die erste, wenn auch flüchtige Schilderung der
Anordnung der Figuren gibt 1665 Balthasar de
Monconys, ein französischer Reisender:166

[il n'y a quej deux tombeaux, un de chasque
coste, qui soient de marbre avec une Statue
couchee chasqu'une de leurs costez, & sur le haut
du tombeau est assis dans une niche le Prince qui
y est ensevely [Monconys 1665,1, 113].

[Es gibt nur] zwei Gräber, eines auf jeder Seite,
die aus Marmor sind, mit [je] einer liegenden Sta-
tue auf den Seiten, und im oberen Teil des Grabes
befindet sich in einer Nische der Prinz, der darin
begraben ist.

Jahrzehnte vergehen, ehe Montesquieu 1728
zum ersten Mal das Verhältnis der Statuen pro-
blematisiert:

l63 Schon Vasari hatte aus seiner Interpretation der über
den Tod der Herzöge trauernden Tageszeiten die
Melancholie der Nacht gefolgert: »conoscendosi non
solo la quiete di chi dorme, ma il dolore e la maninco-
nia di chi perde cosa onorata e grande« [1550, ed.
Barocchi 1962, 6z]. Wenige Jahre vor Henke schrieb
Hyppolite Taine: »Une grande femme etendue dort;
aupres d'elle, un hibou est pose contre son pied. C'est
le sommeil de l'accablement, l'engourdissement morne
de la creature surmenee qui s'est affaissee et demeure
inerte. On l'appelle la Nuit« [1866, II, 216]. Spätere
vergleichbare Texte sind: Ollivier [1872, 40 f.],

Guillaume [1876, 90], Springer [1878, 415], Bur-
ger [1904, 373], Justi [1909, 251 f.], Riegl [1908,
38], Mackowsky [1908, 175 f.|, Hildebrandt
[1913, 86], Schure [1919, 247 f.], Venturi [1923,
61], Kleinenberg [1929, bes. 126], Töesca [1934,

t8l], GUERRISI [1966, 26l), POESCHKE [1992, II f.].

l64 Siehe Anm. 89.

l6> Vgl. das Kapitel über die Deutungsgeschichte (S. 38 ff.).

166 Vgl. auch Tessin [1687, 133].

167 »Le due donne sono posate esse pure in tal modo, che
simmetricamente corrisponde alla giacitura delle figu-
re sovracitate« [Cicognara II, 1816, 275].
 
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