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Kriterien einer Analyse der beschreibenden Sprache

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Worten zu nähern, deren Prägung und damit
auch Bedeutung unabhängig von Kunstwerken
im allgemeinen und dem jeweiligen Werk im
besonderen ist. Dieses sprachliche Defizit fällt
am wenigsten ins Gewicht, wo die Materialität
der Skulpturen oder der dargestellte Gegen-
stand beschrieben werden. Hier kann man von
einer direkten Beschreibung sprechen. Diese
Begriffsfelder reichen jedoch kaum aus, um die
Statuen angemessen wiederzugeben, so daß die
meisten Beschreibungen Begriffe aus entfernten
Wortfeldern im metaphorischen Sinne zu Hilfe
nehmen. In diesem Fall kann man von einer
indirekten Beschreibung sprechen. Eine Statue
als menschliche Figur zu beschreiben ist eine
direkte Annäherung; sie mit der Sonne, die hin-
ter den Bergen aufgeht, zu vergleichen, ist eine
übertragene (metaphorische), indirekte
Bezeichnung.

Die zwei folgenden Abschnitte geben eine
Übersicht der in den Beschreibungen der Medici-
skulpturen gängigsten Begriffsarten und deren
Verwendungsweisen.

Die direkte Bezeichnung
i. Ausführliche, direkte Beschreibungen der
Materialität der Mediciskulpturen, des Mar-
mors und seiner Oberflächenbeschaffenheit sind
mir nicht bekannt. Sofern Autoren darauf ein-
gehen, beschränken sie sich auf kurze Bemer-
kungen wie (alle folgenden Zitate beziehen sich
auf die Notte):

the marble is worked to the highest pitch ofbrilli-
ancy [Lee/Anstruther-Thompson 1904, 108]

2.. Die Bezeichnung der Skulpturen mit Begrif-
fen des menschlichen Körpers ist die häufigste
Form der Beschreibung. Die Differenziertheit
dieser Begriffe wächst besonders deutlich im
Verlauf des 19. Jahrhunderts. Beschrieben wer-
den u.a. körperliche Konstitution:

[...] so zeigt sich ein riesenhaftes Weib von edlen
Formen, aber fettlosem, abgehärmtem Körper.
Durch die ihres Fettpolsters beraubte Haut sieht
man die Knochen und die gleichmäßig angezoge-
nen Muskeln durchscheinen. [Vogel 1878, 58]

Körperhaltung:

Lässig hängen der eine Arm und das Bein herab,
das andere Bein dagegen ist angezogen, so daß es
einen Winkel bildet; auf den Schenkel wird der
rechte Arm gestemmt, der wieder eine Stütze für
den vorgebeugten, in Schatten gestellten Kopf
abgibt. [Springer 1878, 415]

Physiognomie:

Der Kopf [des Giulianoj, barhaupt auf langem,
muskelstarkem Halse, ist nach dem Idealtypus
geformt [...]: das kurzgelockte, tief in die Stirn
gewachsene Haar, die fein bewegte, messerscharf
gezogene Linie des Nasenrückens, der breit aus-
ladende Unterkiefer. [Mackowsky 4i925, 181]

Beschreibungen der Gesichtszüge sind immer
auch Interpretationen des Gesichtsausdruckes:

Nur ihr Antlitz [der Notte] ist noch jugendlich
zart, mit herb geschlossenem Munde und nicht
ganz gesenkten Lidern, von denen das eine wie
tränenschwer erglänzt. Aber aller Tagesschmerz
ist versunken: auf diesen Zügen lagert der
wunschlose Frieden der schlummernden Kreatur.
[Mackowsky ^925, 186J

Entsprechend extrapolieren viele Autoren aus
Konstitution, Haltung und Physiognomie einer-
seits Beschreibungen der Körperbewegung:

[...] die Augen sind erst halb geschlossen, ein
Stück seelischer Spannung ist noch da. Schwindet
auch dieses, und fallen die Augen zu - dann sinkt
der Kopf um ein Geringes; die Hand gleitet ab,
der Vorderarm schnellt nach vorn, der Ellbogen
verläßt seinen Druckpunkt - und in momentan

tion (so Baxandalls [1971] Studie über das Hu-
manistenlatein in der Frührenaissance, die, so weit ich
sehe, leider folgenlos geblieben ist). Eine an der Neu-
burger Semiotik orientierte Analyse von Kunstbe-
schreibungen von Kunsthistorikern und Kunstkriti-

kern aus der Zeit um 1890, die Catherine Lepdor bei
dem internationalen Kongreß Word& Image in Zürich
(August 1990) vorgetragen hat, ist m.W. bislang nicht
veröffentlicht worden.
io5 Vgl. Baxandall [1979, bes. 456 f.].
 
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